Ich beschütze dich
herab, und als er merkt, dass ich ihn ansehe, fängt er an zu schluchzen.
»Oh, Jez«, sage ich und gehe zu ihm.
Ich putze ihm die Nase, wische sein Gesicht mit einem sauberen Waschlappen ab und gebe ihm Wasser zu trinken.
»Hör mal, Jez, du warst sehr krank. Aber du wirst schon wieder gesund. Bitte weine nicht. Ich kümmere mich doch um dich. Ich bringe alles in Ordnung.«
Schließlich verstummt sein Schluchzen, er atmet tief durch und schenkt mir ein mattes, verlegenes Lächeln.
»Tut mir leid«, sagt er. »Mir ist nur so elend zumute.«
Es wird langsam warm in der Küche. Er windet sich etwas und sagt, ihm sei heiß. Erst schüttelt er die Decke ab, die ich ihm umgelegt habe, dann bittet er mich, ihm den Kapuzenpulli auszuziehen. Das ist mit den zusammengebundenen Händen nicht so einfach. Ich sage ihm, ich würde ihm stattdessen die Ärmel aufkrempeln. Als ich die Bündchen umschlage, nehme ich alles an ihm wahr. Seine breiten Handgelenke mit den hervorstechenden Knochen. Den schmalen Streifen Licht in der Vertiefung zwischen Elle und Speiche. Den feuchten Film auf seiner Stirn. Die Schweißperlen in seinen Ellenbeugen.
»Können Sie ihn mir nicht einfach ausziehen? Mir ist echt heiß. Ich gehe ein.«
Ich würde nur zu gerne seine Hände befreien und ihm den Pullover über den Kopf ziehen. Aber so schwach und gefügig er auch ist, traue ich mich nicht.
Nachdem ich ihm die Ärmel hochgekrempelt habe, rühre ich weiter die Sauce an und mahle Pfeffer.
»Ist es jetzt gut so, Jez?«
»Ja, schon besser.«
Nach einer ganzen Weile fragt er: »Was ist in den Gläsern?«
Ich folge seinem Blick. »Marmelade.«
»Die haben Sie an dem Tag gemacht, an dem ich hergekommen bin.«
»Ja. Ich koche sie jeden Februar ein, genau wie meine Mutter. Das hat schon Tradition. Der Geruch … ich liebe diesen Geruch, obwohl er mich auch traurig macht.«
»Ich habe auch Erinnerungen, die mich manchmal traurig machen. Nicht weil sie traurig waren, sondern weil diese Zeit vorbei ist. Weil man nicht zurückgehen kann.«
Ich drehe mich um und sehe ihn an. Wenigstens redet er wieder eher so wie am ersten Tag. Wir machen Fortschritte.
»Was ist das Erste, woran du dich erinnerst?«
Er überlegt, und ich mustere dabei sein Gesicht. Es ist schmaler geworden, keine Frage. Aber da ist noch etwas, ein misstrauischer Ausdruck, der vorher nicht da war. Sein Blick huscht umher. Als dürfte er nichts übersehen, als müsste er jede Sekunde wachsam bleiben. Das gefällt mir nicht. Er soll sich entspannen.
»Schwäne auf dem Fluss. Mein Vater hat mich in einem Buggy hingefahren, glaube ich. Wir haben den Schwänen Brot zugeworfen. Er hat gesagt, sie würden der Königin gehören. Stimmt das?«
»Nur unmarkierte Höckerschwäne. Und nur die auf der Themse. Oder den Nebenflüssen.«
»Und dass es nach Marmite gerochen hat. Bei dem Geruch von Marmite muss ich jetzt noch an hier denken. An den Fluss. Bevor sich alles geändert hat.«
»Das war eigentlich kein Marmite. Das ist Hefe aus der Brauerei. Aber dieser Geruch gehört auch zu meinen frühesten Erinnerungen. Manche Leute stört er. Ich mag ihn. Und die Schwäne sind natürlich immer noch hier. Manchmal verschwinden sie. Sie kommen allerdings immer wieder.«
»Stimmt. Aber es ist nicht mehr so wie früher. Mum und Dad werden nie wieder zusammen sein. Ich werde nie wieder dieses kleine Kind sein. Manche Sachen sind für immer vorbei.« Wieder steigen ihm Tränen in die Augen.
»Das stimmt nicht, Jez.« Ich lege das Messer weg, stütze mich auf den Tisch und sehe ihm in die Augen. »Das habe ich auch mal geglaubt, aber jetzt nicht mehr. Nichts ist vorbei, die Vergangenheit ist nicht verschwunden, Zeit ist nicht linear, wie wir es uns vorstellen. Sie windet und dreht sich und spielt uns seltsame Streiche. Das habe ich vor Kurzem erkannt. Ich wünschte, das hätte ich schon immer verstanden.«
Ich gehe um den Tisch herum zu ihm. Ich beuge mich vor und sehe ihm unverwandt in das hübsche, blasse Gesicht, in die Augen, die während seiner Krankheit tief eingesunken waren, jetzt jedoch ihren Glanz zurückgewinnen, und als ich ihm zuflüstere, lege ich meine ganze Leidenschaft in meine Worte.
»Du bist zu mir gekommen. Du bist gekommen, als ich verstehen musste, dass die Vergangenheit nicht verloren ist. Du hast mir gezeigt, dass ich eine zweite Chance habe und dass ich einen solchen Verlust nie wieder erleben muss.«
Statt zu antworten, starrt er mich nur an, und einen Augenblick lang
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