Ich beschütze dich
scheint er tief in meine Seele zu blicken. Wir sind eins.
Es herrscht eine friedliche Stille, während das Licht draußen verblasst und ich mich wieder dem Kochen zuwende. Jez und ich schweigen miteinander. Wir müssen nicht reden.
Später, ich weiß nicht genau, wie viel später, weil die Zeit mir wieder Streiche spielt und der Tag scheinbar in ein paar Sekunden vergangen ist, sagt Jez: »Ich fühle mich wieder beschissen. Ich muss mich hinlegen.«
»Gehen wir da rüber. Ich mache den Kamin an, und du kannst dich aufs Sofa legen.«
Ich rolle die Ärmel seines Kapuzenpullis herunter. Hülle ihn in die Decke und führe ihn ins Wohnzimmer. Er legt sich auf das Sofa, und ich bereite ein Feuer im Kamin vor, ohne dieses ungute Gefühl, das dieser Raum sonst bei mir auslöst. Als würde ich nur Jez in meiner Nähe brauchen, und alles, was mich aus der Vergangenheit verfolgt, wäre ausgelöscht. Aber irgendetwas, vielleicht sein Fuß, der über den Sofarand hängt, oder wie er reglos auf dem Rücken liegt, bringt plötzlich alles wieder zurück. Nicht nur das Gefühl, sondern jede kleine Einzelheit, das Bild, das ich sonst nur aus den Augenwinkeln sehe und das weggleitet, wenn ich mich darauf konzentriere.
Licht fällt darauf, als ich das Anzündholz in den Kamin halte, und es erstrahlt mit den auflodernden Flammen.
Ein Tag im Vorfrühling, draußen wurde es dunkel. Ich stieß die Tür auf. Mitten im Zimmer stand eine Art Tisch. Kerzen warfen riesige Schatten an die Wände. Schwarz gekleidete Erwachsene mit gebeugten Köpfen. Ich wusste, was auf dem Tisch lag, sie mussten nicht erst Platz machen. Ich konnte zwischen ihnen hindurch den glänzenden Holzkasten mit den polierten Messinggriffen sehen. Aber ich konnte nicht näher gehen. Es forderte mich auch niemand dazu auf. Niemand redete mit mir. Ich stand allein in der Tür und wartete auf etwas, auf eine Bewegung, ein Wort. Sie hielten weiter die Köpfe abgewandt. Der Geruch reichte schon. Sie hatten kein Feuer angezündet. Das Zimmer war noch kälter als der Fluss.
Das Telefon klingelt. Es steht auf dem Tisch neben dem Sofa, auf dem Jez halb eingeschlafen ist. Zumindest dachte ich, er sei halb eingeschlafen. Bei dem Geräusch setzt er sich so ruckartig auf, dass ich mich jetzt frage, ob er es nur vorgetäuscht hat. Ich bin am anderen Ende des Zimmers. Es dauert ein paar Sekunden, bis ich aus meinem Tagtraum auftauche und merke, dass er mit dem Kinn das Sprechteil aus der Basisstation stößt und in den Hörer ruft: »Ich bin’s, Jez!«
Ich bin durch das Zimmer gesprungen und hämmere einen Finger auf die Stummschalttaste, bevor er die drei kleinen Wörter ganz ausgesprochen hat, die ihn mir für immer wegnehmen könnten.
»Wie konntest du das tun?«
»Was denn?«
Er weicht zurück und kauert sich auf dem Sofa zusammen.
»Jez! Ich habe dich nach unten geholt. Jetzt tust du mir so was an.«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen. Was habe ich denn gemacht?«
»Du wolltest mich verlassen.«
»Nein! Ich bin ans Telefon gegangen, ohne nachzudenken.«
Ich atme lang und tief durch und laufe einmal durch das Zimmer, während ich mir mit einer Hand durch das Haar fahre. Das darf jetzt keine hässliche Szene werden. Ich seufze. Setze mich neben ihn auf das Sofa. Lege ihm sanft eine Hand auf das Knie. »Na gut. Dieses Mal sehe ich darüber hinweg. Vergessen wir das vorerst. Aber jetzt musst du zurück ins Musikzimmer gehen. Du kannst nicht hier unten bleiben. Na komm. Hoch mit dir.«
Ich zittere, als er vor mir das Zimmer verlässt. Wie schrecklich, dass er immer noch Angst vor mir hat. Doch sei es, weil er noch schwach ist, oder weil es ihm leidtut, dass er mich aufgeregt hat, jedenfalls steigt er wie ein Häufchen Elend die Treppe hinauf, die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden, den Kopf gebeugt, ohne mich anzusehen.
Nachdem ich ihn eingeschlossen habe, laufe ich sofort zum Anrufbeantworter, um die Nachricht abzuhören. Ich muss wissen, ob jemand Jez’ Stimme gehört hat.
Es ist Helen.
»Sonia, das wirst du nicht glauben …«
Ich nehme das Telefon in die Hand und wähle Helens Nummer. Sie antwortet sofort.
»Kann ich vorbeikommen?«, fragt sie.
Sekundenlang kann ich nichts sagen. Hat sie Jez gehört? Ist das ein Trick?
»Sonia? Bist du noch da? Hörst du mich?«
»Ja, entschuldige. Hallo.«
»Ich muss mit dir reden. Kann ich dich besuchen?«
»Nein.« Das klang zu schroff. Ich versuche es noch einmal freundlicher. »Nein. Tut mir leid, Helen, jetzt
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