Ich bin alt und brauche das Geld
Damen erhoben sich, Bibi, Beate, Annette und wie sie alle hießen.
Der Knirps unternahm derweil den Versuch, sich unter lautem Protestgeschrei die Hose auszuziehen, was ihm nicht gelang, weil er eine Latzhose trug und seine kleinen Finger nicht mit den Knöpfen zurechtkamen. Ich war schon aufgestanden und zu ihm geeilt, bevor ich richtig darüber nachdenken konnte. Mein früherer Job im Kindergarten hatte bestimmte Handlungen bei mir zu einer Art Reflex werden lassen. Es war zwar schon sehr lange her, aber manche Dinge vergaß man nie.
Ich hob den Kleinen auf. »Komm, ich helfe dir.«
Im ersten Moment zappelte er wild herum. Seine Mutter hatte recht, er hatte einen regelrechten Trotzanfall, ganz normal für Kinder seines Alters, die ihren Willen nicht kriegten.
Ich lächelte ihn beruhigend an. »Wenn du willst, mach ich dir kurz die Pampers auf, dann kannst du Pipi machen.«
Neben mir zog würdevoll das Defilee der schwarzen Witwen vorbei und schloss sich dem kleinen Trauerzug an, der sich gemächlich nach draußen bewegte. Ich merkte, wie mich von allen Seiten misstrauische und unfreundliche Blicke trafen, doch ich achtete nicht darauf.
Dann tauchte die lila Kugel in meinem Blickfeld auf.
»Was glauben Sie, was Sie da tun?«, fragte Jennifer mich ärgerlich. Sie stand neben mir, ihre kleine Tochter an der Hand.
Ich richtete mich auf. »Tut mir leid, ich wollte mich nicht einmischen. Muss wohl die Macht der Gewohnheit sein.« Erläuternd fügte ich hinzu: »Ich war früher Erzieherin, irgendwie gehen einem diese Dinge in Fleisch und Blut über. Der Kleine ist schon sauber, oder? Und Sie haben ihm heute die Pampers nur ausnahmsweise angezogen, damit er nicht mitten in der Zeremonie öffentlich pinkeln muss, stimmt’s? Tja, das Problem ist nur – wenn sie einmal trocken sind, kann man sie nicht mehr zwingen, in die Windel zu pullern. Außer, sie wollen es.«
Ich hörte meinen Redestrom und klappte den Mund schnell zu, bevor es noch aufdringlicher klingen konnte.
»Mama, wer ist die Frau?«, fragte das Mädchen.
»Sei still«, sagte Jennifer.
»Ich muss ganz doll«, jammerte der Kleine.
Ich schob mir die Sonnenbrille ins Haar und blickte die junge Frau fragend an. »Darf ich? Für Sie ist das Bücken jetzt sicher sehr beschwerlich.«
»Meinetwegen.« Sie betrachtete mich mit gerunzelter Stirn. »Kann ich erfahren, wer Sie sind?«
»Mein Name ist Charlotte Hagemann.« Ich merkte, wie ich rot wurde, selten war mir etwas derart peinlich gewesen. »Ich war eine Weile mit Klaus – Ihrem Vater – sehr gut befreundet. Er war doch Ihr Vater, oder? Sie müssen Jennifer sein.«
Sie nickte nur stumm und folgte mir nach draußen, als ich den Kleinen aus der Kapelle führte und ihm dort aus der Latzhose und der Windel half.
Ich ging neben ihm in die Hocke und blickte zu seiner Mutter hoch. »Steh- oder Sitzpinkler?«
Ein Grinsen zuckte um ihre Mundwinkel auf. »Sitzen natürlich.«
»Aha. Na dann komm mal her, kleiner Mann. Wie heißt du eigentlich?«
»Massi-mi-li-an«, kam es mit schüchternem Lispeln zurück.
Ich schnappte mir den Kleinen und hielt ihn nach allen Regeln der Kunst hinter einem Busch ab. Es dauerte einen Moment, bis die innere Blockade überwunden war, aber dann strullerte er aus Leibeskräften und seufzte erleichtert, als es geschafft war. Er beäugte mich neugierig von der Seite, während ich seinen kleinen Hintern wieder einpackte und die Hose zumachte.
Seine Mutter nahm ihn mit ungnädigem Gesichtsausdruck in Empfang. »Sind Sie die Charlotte, die mein Vater heiraten wollte?«, fragte sie.
Ich zuckte zusammen. »Das stimmt«, sagte ich reserviert. »Allerdings haben sich unsere Wege vorher getrennt.«
»Ja, schon klar.«
Ich wartete, dass sie diese Bemerkung näher ausführte, denn wie es schien, wusste sie über meine gescheiterte Beziehung mit Klaus Bescheid, doch sie sagte nichts mehr, sondern nahm ihren Sohn an die Hand und marschierte los. Das kleine Mädchen dackelte mit entnervter Miene hinterher. Ab und zu sah sie sich zu mir um, während ich den dreien langsam folgte. Der Urnenträger und das trauernde Gefolge hatten bereits ihr Ziel erreicht und versammelten sich rund um die Grabstelle. Doro und Dirk waren auf halbem Wege stehen geblieben und warteten auf mich. Doros Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Sie blickte neugierig hinter Jennifer her, als diese in sturer Haltung mit den Kindern an ihr vorbeimarschierte.
»Wer ist das?«, wollte sie leise wissen, sobald ich
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