Ich bin alt und brauche das Geld
ich inständig hoffte, dass ihm nicht auffiel, wie sehr ich schon wieder ins Schwitzen geraten war.
»Welche Überraschung hast du denn diesmal für ihn?«, fragte Adrian.
»Keine Ahnung. Ich muss mir noch was ausdenken.«
»Ich hätte eine Idee«, sagte Adrian. »Er könnte mir beim Anstreichen helfen. Ich glaube, dass das für ihn was Besonderes wäre.«
»Davon bin ich überzeugt. Aber ich befürchte, das gibt eine Riesenschweinerei. Kinder, denen man Pinsel und Farbe gibt, sind in ihrer Kreativität unberechenbar.«
Adrian lachte. »Damit werde ich schon fertig. Und jetzt erzähl mir die ganze Geschichte.«
Ich gab mich unwissend. »Welche Geschichte?«
»Die von der nackten Ski-Abfahrt.«
Wider besseres Wissen tat ich es und erzählte ihm von der dämlichen Wette zwischen mir und Annegret Faltermeyer. Annegret war in meiner Klasse eine Art Superstar gewesen. Sie war die Hübscheste, hatte als Erste ein eigenes Auto, und es gab sogar einen Plattenproduzenten, der sie als Leadsängerin einer bekannten Band groß rausbringen wollte. Die angepeilte Schlagerkarriere verlief zwar später im Sande, aber monatelang erzählte sie allen auf der Schule, dass sie demnächst mit ihren Superhits in sämtlichen Charts wäre. Um ihr Selbstwertgefühl zusätzlich aufzupolieren, achtete sie darauf, die Qualitätsunterschiede zwischen sich und anderen, speziell denen, die nicht zum engsten Kreis ihrer Bewunderer gehörten, mit passenden Statements zu untermauern. Vorzugsweise mit Bemerkungen wie: »Charlotte, hast du seit dem letzten Sommer zugenommen? Diese Jeans hattest du doch schon voriges Jahr immer an, aber da hat sie dir irgendwie noch besser gepasst.« Oder, besonders unvergesslich: »Hört mal alle her, ich habe Charlotte gestern in der Fußgängerzone mit einem Mann gesehen. Scheint so, als würde sie sich endlich auch mal auf die Piste trauen. Wahnsinn, oder? Allerdings hatte der Typ kaum noch Haare und war alt genug, um ihr Vater zu sein.« (Es war mein Vater.)
Und dann auf der Klassenfahrt in den Schwarzwald, abends in dem Zimmer, das wir uns zu sechst teilten: »Ich wette, Charlotte würde sich nie trauen, bei so was wie Strip-Poker mitzumachen. Sie ist einfach total prüde.«
Die Flasche mit dem Kirschwasser war schon mindestens drei Mal durch alle Stockbetten gekreist, es war kaum noch was drin, und bei mir war sie am längsten hängen geblieben.
»Iss t-traue miss alles«, hatte ich behauptet. »Iss würde jederzeit n-nackt auf die Pisse gehen. Un ssswar sofort. Ähm, iss meinte natürlich nicht Pisse, sondern Pisse .«
Als das allgemeine Wiehern sich beruhigt hatte, wettete Annegret hundert Mark, dass ich mich nicht traute, und ich, randvoll mit Kirschwasser, hielt dagegen. Ich gewann die Wette.
»Und dann?«, wollte Adrian wissen. »Was passierte hinterher?«
»Nichts. Wir lagen zugedeckt in unseren Betten und spielten Tiefschlaf, als unsere Lehrerin zu uns reinguckte. Vorher hatten wir noch schnell alle verdächtigen Spuren beseitigt. Meine nassen Skischuhe und die leere Schnapsflasche hatte ich in meinen Spind gestopft, nur die Skier passten da nicht rein, also hab ich sie mit ins Bett genommen und mir dabei die Blase verkühlt, weil die Dinger so kalt waren.«
»Aber dafür hast du ordentlich dein Taschengeld aufgestockt«, sagte Adrian grinsend.
»Leider nicht. Annegret hat behauptet, ich sei durch das Kirschwasser unzurechnungsfähig gewesen, deshalb hätte die Wette wegen fehlender Geschäftsfähigkeit nicht gezählt. Und außerdem hätte ich sowieso keinen Anspruch auf das Geld, denn Wettschulden seien nicht verbindlich. Sie hatte extra ihren Vater gefragt. Der war Richter am Oberlandesgericht.«
Natürlich hatte sie dem nicht die ganze Wahrheit erzählt, sondern bloß irgendwas von einer harmlosen Wette über ein Federballspiel, aber die rechtlichen Prinzipien, so hatte sie mir salbungsvoll erklärt, seien exakt dieselben. Und ich solle froh sein, dass keiner mich verpfiffen hatte, denn ein paar Leute aus dem Dorf – darunter angeblich der Pfarrer und die stellvertretende Vorsitzende des Kirchengemeinderats – hatten mich nackt zu Tal sausen sehen und anschließend die Skispuren bis zur Jugendherberge verfolgt, wo sie sofort eine Untersuchung einleiteten. Zu der Zeit waren allerdings über hundert Jugendliche im Haus, und für jeden einzelnen legten die Lehrer die Hand ins Feuer. Keiner wollte seine Aufsichtspflicht verletzt haben.
»Und der Rest war Schweigen«, schloss ich meine
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