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Ich bin alt und brauche das Geld

Ich bin alt und brauche das Geld

Titel: Ich bin alt und brauche das Geld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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Geschichte. »Buchstäblich. Ich habe nichts verraten, weil ich Angst hatte, die Lachnummer der ganzen Schule zu sein. Und Annegret hat nichts verraten, weil sie sich sorgte, als kleinliche Verliererin dazustehen. Oder sogar als Anstifterin. Sie konnte nicht riskieren, dass ihr Vater es rauskriegte, der war ziemlich streng. Und die anderen vier Mädels aus unserem Zimmer haben nichts gesagt, weil zwei von ihnen zu Annegrets privatem Fanclub gehörten und ihr schwören mussten, niemandem was zu verraten. Die übrigen zwei haben dichtgehalten, damit ich keine Schwierigkeiten kriegte. Irgendwann wurde natürlich doch darüber getuschelt, aber so richtig raus kam es nie.«
    Ich versuchte nicht darauf zu achten, dass Adrian einen Notizblock aus der Hosentasche zog und sich Notizen machte, in einer hieroglyphenähnlichen Schrift, die bestimmt kein Mensch außer ihm entziffern konnte.
    Er bemerkte mein Unbehagen. »Keine Sorge«, versicherte er. »Niemand wird dich in dem Drehbuch wiedererkennen. Ich werde aus der Abfahrt einen Ausritt machen.«
    »Ich glaube, die Idee gab es schon. Existierte nicht mal vor vielen Hundert Jahren so eine englische Lady, die nackt durch die Gegend ritt, nur mit ihrem langen Haar bekleidet?«
    »Stimmt. Wie hieß sie noch? Warte, ich komm gleich drauf. Lady Godiva! Du hast recht, das wäre eine abgedroschene Wiederholung. Hm. Wie wäre es mit einem nackten … Vierhundertmeterlauf?«
    »Das ist zwar sehr ausgefallen, aber meinetwegen.«
    »Es ist nicht ausgefallener als nacktes Skifahren. Was ist eigentlich aus dieser Annegret geworden?«
    »Oh, sie ist die Karriereleiter ganz weit raufgestiegen. Nicht als Schlagersängerin – singen konnte sie sowieso nicht besonders –, sondern in der Politik. Sie hat sich in den Landtag wählen lassen und strebt als Nächstes einen Sitz im Bundestag an, vielleicht sogar im Kabinett. Sie hat gesagt, ihre Aussichten dafür stehen super. Das war der Stand vom letzten Jahr, da hatten wir ein Dreißig-Jahre-Abi-Treffen.« Ich musste kurz innehalten und durchatmen, weil dreißig Jahre so … gewaltig klangen. Nicht nur nach einem gewaltigen Zeitraum, sondern auch nach unzähligen verpassten Chancen. Sie klangen nach »Schätzchen, ist das alles, was du auf die Beine gestellt hast? Den winzigen Weinladen von deinen Eltern? Den du obendrein noch aufgegeben hast, um was zu machen? Zu heiraten? « – Bei diesen Worten hatte Annegret mich mitleidig und mit leiser Nachsicht angesehen, ganz im Stil einer gütigen Landesmutter. Doch es hatte mich kein bisschen gekränkt, denn ich war von einem Panzer aus Glückseligkeit umhüllt – das Klassentreffen war in die wundervollen zwei Wochen nach meinem Einzug in Klaus’ Haus gefallen, als ich noch geglaubt hatte, wirklich demnächst zu heiraten. Genau drei Tage später hatte der Urknall stattgefunden.
    Aber davon würde ich Adrian garantiert nichts erzählen. Er wusste sowieso schon viel zu viel über mich.
    »Sag mal, wie genau kam es eigentlich zu der Trennung von diesem … wie hieß er gleich? Hans?«
    »Klaus«, sagte ich mechanisch.
    »Wieso habt ihr euch getrennt?«
    »Wir haben uns auseinandergelebt.«
    »Aber ihr wart doch eben erst zusammengezogen! Sekunde, ich hab’s hier irgendwo noch stehen.« Er überflog seine unleserlichen Notizen. »Da ist es: Zwei Wochen vor der Trennung Umzug von Kassel nach Frankfurt zu Klaus . Kann man sich so schnell auseinanderleben?«
    »Manchmal entwickeln sich die Differenzen in einer Beziehung eben spontan«, behauptete ich.
    »Charlotte!«, schrie Paulinchen. Sie stand in der Sandkiste und winkte mit beiden Armen. »Komm schnell! Der böse Junge will meinen Bruder töten!«
    Das war, wie auf den ersten Blick zu sehen war, maßlos übertrieben, der böse Junge war höchstens vier und lediglich mit einem winzigen gelben Schäufelchen bewaffnet, aber ich war trotzdem froh über die Unterbrechung.
    »Da muss ich wohl eingreifen«, sagte ich zu Adrian.
    »Tu das. Ich geh mir mal drüben beim Ausgang für fünf Minuten die Beine vertreten.«
    Was natürlich bedeutete, dass er eine rauchen wollte. Mit dem Aufhören war er, wie er mir selbstkritisch berichtet hatte, noch keinen Schritt weiter. Als Nächstes wollte er es mit Nikotinpflastern versuchen, und wenn die nicht wirkten, mit Akupunktur.
    Mäxchen umklammerte aus Leibeskräften ein Förmchen, das der böse Junge – ein schmächtiges Kerlchen mit Segelohren – ihm entreißen wollte. Der Grund für den Zwist war

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