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Ich bin alt und brauche das Geld

Ich bin alt und brauche das Geld

Titel: Ich bin alt und brauche das Geld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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klar, dass ich noch mal losmusste. Sie hatte zwar alles Mögliche besorgt und führte es mir und den Kindern der Reihe nach vor, aber nichts davon war essbar. Während sie in ihrem neuen Glitzertop und ihren neuen High Heels vor uns hin und her stolzierte und sich von Paulinchen beteuern ließ, dass sie viel schöner war als Prinzessin Lillifee, machte ich im Geiste eine Einkaufsliste der Dinge, die wir für ein gesundes Abendessen und ein ordentliches Frühstück brauchten.
    Zurück vom Supermarkt traf ich zum zweiten Mal an diesem Tag auf Herrn Knettenbrecht, der mir lang und breit erklärte, dass er keineswegs an einer neurotischen Fixierung leide, sondern dass vielmehr Frau Hildebrand nicht mehr ganz dicht sei, sogar im wahrsten Sinne des Wortes, weshalb er mich auch dringend darauf hinweisen wolle, dass sie manchmal ihre Inkontinenz-Einlagen mit in die Waschmaschine steckte. Die sich dann natürlich auflösten und den Ablaufschlauch verstopften, weshalb er praktisch aus dem Reparieren gar nicht mehr herauskomme. Das sollte ich als Mitbenutzerin der Waschmaschine auf alle Fälle wissen.
    Während ich meine Einkaufstüten in den vierten Stock schleppte und standhaft versuchte, einfach nicht hinzuhören, folgte er mir im Abstand von gefühlten drei Zentimetern und klagte mir ohne Punkt und Komma sein Leid. Als wir oben angekommen waren, meinte er: »Sind die Tüten nicht ein bisschen schwer für Sie? Ich hätte doch auch eine tragen können. Warum haben Sie nichts gesagt?«
    »Oh, entschuldigen Sie. Nächstes Mal denke ich dran.« Bevor er einen neuen Redeschwall vom Stapel lassen konnte, machte ich ihm die Tür vor der Nase zu.
    Im Wohnzimmer saß Olga auf dem Sofa und schaute besorgt drein. »Die Polizei hat angerufen«, sagte sie.
    »Warum das denn?«, wollte ich erschrocken wissen, wobei mir durch den Kopf schoss, dass ich mir vielleicht mal langsam Gedanken über meinen Blutdruck machen sollte. Es konnte unmöglich gesund sein, dass mein Puls schon bei der kleinsten Aufregung derartig anfing zu rasen. Ich musste an meine Oma denken, die mal gesagt hatte: »Ich fühle mich kerngesund. Bei mir ist alles tipptopp in Schuss. Nur das Herz rast ab und zu ein bisschen, wenn ich mich aufrege.« Und dann war sie auf einmal tot gewesen, zack, Schlaganfall. Gut, da war sie schon über neunzig gewesen, und über das Herzrasen hatte sie, daran erinnerte ich mich noch, schon an ihrem sechzigsten Geburtstag gesprochen. Aber irgendwann fing es bei jedem an.
    »Keine Ahnung, was die Polizei wollte«, sagte Olga.
    »Aber sie müssen doch gesagt haben, worum es geht!«
    »Nein. Nur dass sie dringend mit Ihnen sprechen wollen. Ich habe gesagt, Sie sind nicht da, und da sagte der Typ, er kommt morgen Vormittag hier vorbei.«
    Mehr konnte sie zur Erhellung der Situation nicht beitragen. Der Anrufer hatte weder Namen noch Telefonnummer hinterlassen.
    »Musst du jetzt ins Gefängnis?«, wollte Paulinchen wissen.
    »Nein, ganz bestimmt nicht, denn ich hab nichts verbrochen.« Zumindest glaubte ich das. Aber heutzutage konnte man ja nie sicher sein. Erst neulich hatte was über eine Frau in der Zeitung gestanden, die ohne ihr Wissen Komplizin einer internationalen Verbrecherbande gewesen war. Die Typen hatten sich irgendwie in ihren PC gehackt und unter ihrem Namen im großen Stil verbotene Geschäfte getätigt, unter anderem mit selbst fabrizierten Potenzmitteln und geklauten Autos. Der Schaden war in die Millionen gegangen. Die Frau hatte ein Vermögen für einen guten Anwalt ausgeben müssen, bis sie den Mühlen der Justiz endlich entrinnen konnte.
    Was konnte die Polizei von mir wollen? Ob es etwas mit Jennifer zu tun hatte? Oder mit Klaus? Nervös packte ich meine Einkäufe aus und deckte den Tisch fürs Abendessen. Es gab Vollkornbrot, Schmelzkäse, Aufschnitt und Tomaten. Ganz gegen meine Gewohnheit – normalerweise trinke ich nur in Gesellschaft – machte ich zum Essen eine Flasche Wein auf, einen prämierten Chianti Classico Riserva, genau das Richtige, um ein bisschen runterzukommen.
    Olga hielt mir ihr Glas hin. »Eine Frau sollte nie alleine trinken. Alleine trinken ist … wie sagt man auf Deutsch?«
    »Der Anfang vom Ende.« Ich schenkte ihr ein und prostete ihr zu.
    »Bum«, sagte sie.
    Verdattert starrte ich sie an, es klang danach, als würde gleich so etwas folgen wie »Fall tot um!« , aber dann erfuhr ich, dass Bum bloß eine gerne benutzte Abkürzung war, und zwar für den russischen Trinkspruch Budjem sdorowy .

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