Ich bin alt und brauche das Geld
Stromschlägen.
Um mich abzulenken, schaute ich noch einmal nach den Kindern. Sie schliefen wie kleine Engel. Ihre unschuldsvollen Gesichter waren im Schlaf entspannt, sie sahen aus wie niedliche Mini-Models aus einem Werbeprospekt für Kinderschlafanzüge, mit blonden Wuschellöckchen und rosigen Wangen. Ich war drauf und dran, meine Kamera zu holen und sie zu fotografieren. Nur so, zur Erinnerung. Weil, wie ich mir klarmachte, ich sie möglicherweise nie wiedersehen würde, sobald ihre Mutter sie erst abgeholt hatte, denn bestimmt würde es nicht noch einmal vorkommen, dass so viele infrage kommende Babysitter alle gleichzeitig wegen Windpocken, Urlaub, Kaiserschnitt oder Scheidung ausfielen.
Ohne mein Zutun entwich mir ein Seufzen. Klaus, du armer Dummkopf, dachte ich, von Bedauern und Mitleid erfüllt. Wie konntest du das so gründlich vermasseln? Eine Tochter wie Jennifer. Zwei süße Enkel. Und du hast sie einfach ignoriert. Hast du manchmal daran gedacht, wie Jennifer deswegen zumute war? Oder hat es dich schlicht nicht interessiert?
Und hat es dich interessiert, wie mir zumute war?
Ein weiterer Seufzer folgte dem ersten, doch diesmal überwog die Müdigkeit mein Bedauern, und ich beendete meine stumme Zwiesprache mit einem Geist. Klaus lebte nicht mehr, seine Probleme hatten sich damit sozusagen erledigt – er hatte sie mit ins Grab genommen, dabei sollte es bleiben. Und was mich selbst betraf, so hatte ich mir ja bereits geschworen, nicht zurückzublicken, schon gar nicht im Zorn. An dem, was geschehen war, ließ sich nichts mehr ändern, und was ich künftig aus meinem Leben machte, lag allein an mir.
Gerade wollte ich die Wohnzimmertür leise zuziehen, als mir auffiel, dass mein Laptop aufgeklappt auf dem Couchtisch stand. Das grüne Licht brannte, das Gerät war eingeschaltet – offensichtlich war Paula extra noch mal aufgestanden.
Ich ging hin, um den Rechner runterzufahren, hielt dann aber inne, als sich beim ersten Tastendruck der Stand-by-Modus ausschaltete und der Monitor zum Leben erwachte.
HOTMAMIS BLOG
Allein unter Feinden
Heute stecke ich in einem schlimmen Tief. Eigentlich ist es schon ein Schwarzes Loch. Eins von der Art, bei dem man sicher ist, da nie wieder rauszufinden. Es kostet mich ungeheure Muehe, darueber zu schreiben, doch da ich versprochen hatte, euch auf dem Laufenden zu halten, bringe ich das jetzt auch hinter mich. Zumindest haelt es mich davon ab, mich vor den naechsten Bus zu werfen. Was mir heute sowieso schon um ein Haar passiert waere. Kein Scherz. Es war direkt vor diesem Glastower, wo Mister HOTMAMI arbeitet. Die Strasse sah voellig frei aus, als ich ruebergehen wollte, aber einen Sekundenbruchteil spaeter kam dieser riesige rote Doppeldeckerbus angerast. Ich schwoere, es war hoechstens ein halber Zentimeter, der mir das Leben gerettet hat. Und natuerlich Simon, der mich im letzten Moment zurueckgerissen hat. Der Typ ist wirklich der hoeflichste und ruecksichtsvollste Englaender, den man sich vorstellen kann. Er versteht auch, dass fuer uns normale Europaeer die Autos alle auf der falschen Seite fahren (weshalb wahrscheinlich auch ueberdurchschnittlich viele von uns in England ueberfahren werden, denn sonst stuende ja nicht extra an jedem Fussgaengerueberweg in Riesenbuchstaben auf der Strasse, in welche Richtung man gucken soll). Simon fuehlt sich seit dem Raubueberfall irgendwie ein bisschen fuer mich verantwortlich, deshalb hat er mir auch angeboten, mich mit raus in die Docklands zu nehmen. Wo er uebrigens auch ein Buero hat, zusaetzlich zu dem in der Oxford Street. Ausserdem hat er noch eins in Belgravia, wo er auch sein Haus hat.
Aber ich komme vom Thema ab, sorry. Nachdem ich es also um ein Haar geschafft hatte, mich von einem englischen Doppeldeckerbus ueberfahren zu lassen, bin ich rein in diesen enormen Glastower, um im 24. Stock – da befindet sich die Vorstandsetage – ein paar Takte mit Mister HOTMAMI zu sprechen. Ich habe bis zum Abend gewartet, weil ich wusste, dass er laenger im Buero bleibt, um mit der Schlampe rumhaengen zu koennen, und dabei wollte ich ihn erwischen. Es gab sowieso keinen Grund, es laenger aufzuschieben, denn die Beweislage ist ja mittlerweile erdrueckend.
Oh, das hatte ich glaube ich noch gar nicht erwaehnt, deshalb an dieser Stelle ein Einschub als Erklaerung: Ich habe letzte Nacht, als er geschlafen hat, sein Handy gecheckt. Ihr werdet nie erraten, was ich darauf gefunden habe. Oder vielleicht doch, denn sicher kommt so
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