Ich bin alt und brauche das Geld
draufgehen.«
»Nein.«
»Er war zu Hause noch«, bekräftigte ich.
»Ich will zu meiner Mama. Jetzt sofort.« Mäxchen brachte diese Forderung mit großer Entschiedenheit vor, doch man hörte das Zittern in seiner Stimme.
Doro, die sich die ganze Zeit interessiert umgesehen hatte, hörte es und drehte sich zu uns um. »Hm, jetzt verstehe ich, was du mit dieser Trennungsangst gemeint hast«, sagte sie zu mir. »Obwohl ich das ja für ein echtes Luxusproblem halte. Ich meine, sieh dich doch mal um! Kistenweise Puppen und Lego und Malsachen und Puzzles … das ist doch ein richtiges Kinder-Eldorado. Wenn ich drei wäre, würde ich überhaupt nicht mehr nach Hause wollen.«
Hinter uns ging eine Art Feuerwehrsirene los.
Einer der beiden anderen kleinen Jungen hatte sich wie ein Krake an seine Mutter geklammert, die gerade den Raum verlassen wollte. Er kreischte aus Leibeskräften. Man konnte nur an vereinzelten Wortfetzen wie heim und blöd hier verstehen, was er wollte. Beziehungsweise nicht wollte. Seine Mutter strich ihm über den Kopf und sah hilflos lächelnd in die Runde.
Neben mir hatte Mäxchen angefangen zu weinen. Die Tränen liefen ihm übers Gesicht, er schluchzte zum Steinerweichen. »Ich will nicht alleine hierbleiben, Ssarlotte!«
»Das ist völlig normal«, erklärte Evelyn mir. »Viele Kinder müssen am Anfang ganz schrecklich viel weinen. Und manche auch später noch. Das gehört bei den kleinen Anfängern zum morgendlichen Alltag.« Sie kicherte fröhlich, als hätte das Weinen keine andere Bedeutung als Frühstücken oder Zähneputzen. »Man darf das nicht so hoch hängen.« Sie strich Mäxchen aufmunternd über den Kopf. »Na, nun komm schon, kleiner Mann! Du bist doch kein Feigling, oder? Jetzt gehst du mit mir, dann spielen wir was Schönes zusammen. Hinterher gibt es ein leckeres Frühstück mit Marmeladenbrot und Kaba.«
Mäxchen schluchzte laut auf. »Ich hab Angst! Ich will nicht bei der bösen Frau sein!« Er klammerte sich noch fester an mich, und ich hob ihn wieder hoch und presste den zitternden kleinen Kinderkörper an mich.
»Ach du liebe Güte«, sagte Doro betroffen. » Jetzt verstehe ich, was du gemeint hast.«
»Er hat Angst«, sagte ich überflüssigerweise zu Evelyn.
»Das vergeht schon, wenn Sie erst mal draußen sind und er Sie nicht mehr sieht. Aus den Augen, aus dem Sinn.«
Mäxchen weinte laut auf. Es zerriss mir fast das Herz.
»Ignorieren Sie es einfach«, empfahl Evelyn mir. »Es ist nämlich absolut normal.«
»Dadurch, dass Sie das dauernd wiederholen, wird es für ihn auch nicht leichter«, sagte ich schärfer als beabsichtigt. »Er ist erst drei! «
»Ja, nun, das sind sie fast alle, wenn sie in den Kindergarten kommen«, erklärte Evelyn mit einem gönnerhaften kleinen Kichern.
»Das weiß ich selber«, sagte ich ärgerlich.
»Sie ist gelernte Erzieherin«, sagte Doro zu Evelyn. »Und zwar eine richtig gute, wenn Sie mich fragen. Sie sollten sie mal Häschen in der Grube spielen sehen.«
Evelyn hatte aufgehört zu kichern und schaute auf einmal ein wenig boshaft drein. »Wenn das so ist – warum tun Sie dann nicht das, was Sie für richtig halten?«
*
Ungefähr zwei Stunden später hatte ich ziemlich schlimme Rückenschmerzen, denn das Sitzen auf winzigen Kindergartenstühlchen an viel zu niedrigen Tischen ist Gift für die Bandscheiben Erwachsener, vor allem bei denen, die ihre Lebensmitte schon deutlich überschritten hatten. Ich schob mir seufzend die Hand ins Kreuz und wühlte mit der anderen in einem Haufen von Puzzleteilen herum, die vor mir auf dem Tisch lagen. Das Kunstwerk, das ich in Arbeit hatte, strebte der Vollendung entgegen. Es bestand aus fünfundvierzig Teilen und hieß Arche Noah . Doro war schon mit ihrem zweiten Puzzle fertig, sie stöberte zusammen mit einem kleinen Mädchen in einer Barbie-Kiste. Mäxchen hatte sich nach vier gewonnenen Memory-Spielen, drei gemeinsam gemalten Zoo-Bildern und einem erfolgreich ausgelegten Feuerwehr-Puzzle vor einer Viertelstunde in die Bau-Ecke zurückgezogen, zusammen mit dem kleinen Jungen, der vorhin mit seiner Kreischattacke das ganze Trennungsdrama losgetreten hatte. Die beiden konstruierten einträchtig mehrere fantasievolle, schiffsähnliche Gebilde aus Lego, wobei sich Mäxchen als Ton angebend erwies. Einmal hörte ich ihn sagen: »Wir brauchen nachher noch Wasser für das Meer. Aber ich bin der Kapitän.«
»Ich glaube, wir können es jetzt wagen«, sagte ich zu Doro, während ich
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