Ich bin alt und brauche das Geld
schaden konnte, Verstärkung dabeizuhaben.
Anscheinend hatte ich das laut gedacht, denn Doro wollte wissen: »Wieso Verstärkung?«
»Das sage ich dir lieber nicht, sonst kommst du am Ende nicht mit.«
»Nun sag’s schon.«
»Na gut. Der erste Tag im Kindergarten kann ein bisschen … stressig sein. Manche Kinder haben ein Problem, sich von ihren Bezugspersonen zu trennen. Das kann für alle Beteiligten ziemlich unerfreulich werden.«
»Klingt nicht halb so schlimm wie eine richtige Trennung. Also eine von der Sorte, wie ich sie vor zwei Jahren mit diesem Arsch hatte.«
Doro hatte schon einige schlimme Trennungen hinter sich, und sie nannte jeden ihrer Verflossenen nur schlicht Arsch. Ihr Lebensweg war folglich von diversen Ärschen gesäumt, die man im Nachhinein wegen der Namensgleichheit kaum auseinanderhalten konnte. An den vom vorletzten Jahr konnte ich mich allerdings noch gut erinnern. Er hieß Arnold und war Hobbytaucher, und er sah fast so kernig und männlich aus wie sein kalifornischer Namensvetter. Doro war sehr in ihn verliebt gewesen. Bis zu dem Moment, als sie herausfand, dass er ein bisschen … seltsam war. Es fing damit an, dass er beim Aussteigen aus ihrem Wagen heimlich einen Zwanzig-Euro-Schein auf dem Beifahrersitz liegen ließ, um zu testen, ob sie ihm das Geld zurückgab. Sie hatte es natürlich getan, worauf er den Fehler begangen hatte, ihr zu verraten, dass es Absicht gewesen war (»Es beruhigt mich ja doch sehr, dass du so eine ehrliche Haut bist!«). Dann ging er mit einer anderen Frau tauchen, aber so, dass Doro es mitkriegen musste – er wollte dadurch bloß feststellen, ob sie eifersüchtig war. Auch das hatte er ihr dämlicherweise erzählt (»Jetzt weiß ich wenigstens, dass ich dir nicht gleichgültig bin!«). Mit dieser Aktion hatte er sich bei Doro ins Aus befördert, aber es hatte sie ziemlich mitgenommen. Fast so sehr wie mich meine Trennung von Klaus.
»Dagegen ist so eine Kindergarten-Trennung doch nur Pipifax«, fuhr sie fort.
Ich hielt es für besser, sie in dem Glauben zu lassen.
*
Bevor Doro am nächsten Morgen kam, um uns abzuholen, rief ich Wolfgang Meyer von der Kripo an, denn meine Sorge um Olga war kaum noch auszuhalten.
»Na ja, ich bin für solche Vermisstenfälle eigentlich nicht zuständig«, sagte er, nachdem ich ihm die Lage geschildert hatte.
»Aber irgendjemand muss doch etwas unternehmen! Können Sie mir nicht raten, was man da machen kann? Ich kenne sonst niemanden bei der Polizei.«
»Ich kann mal in der richtigen Abteilung nachfragen, wie man da am effizientesten vorgeht. Haben Sie eigentlich alle Sachen noch mal genau durchsucht?«
»Die von Olga?«, fragte ich.
»Nein. Ihre. Oder genauer gesagt, die von Herrn Pieper.«
Ich hatte den Eindruck, ihm etwas mehr Entgegenkommen zu schulden, weil er versprochen hatte, sich wegen der Vermisstenmeldung zu erkundigen, daher versprach ich ihm, noch einmal gründlich nachzusehen. Dann klingelte Doro, und ich musste das Gespräch beenden.
Der Kindergarten war nett und erinnerte mich so sehr an meine eigene frühere Arbeitsstätte, dass ich mich verblüfft umschauen musste, weil fast alles genauso aussah wie damals, bis hin zu den großen bunten Pinnwänden, den Schienen mit den selbst gemalten Bildern und den Spielzeugregalen. Manche Dinge änderten sich wohl nie. Genau wie in meinem Kindergarten gab es mehrere Gruppenräume mit so nett klingenden Namen wie Gänseblümchen, Regenbogen und Schneckenhaus, und draußen neben den Türen befanden sich die Kindergarderoben mit langen Bänken, auf denen die Kleinen sitzen konnten, um sich die Schuhe aus- und die Hausschühchen anzuziehen. Über den Bänken waren die Haken zum Aufhängen der Jacken angebracht, und darüber jeweils ein Schildchen mit verschiedenen bunten Motiven, damit die Kinder sich merken konnten, wohin sie ihre Sachen hängen mussten, um das Durcheinander in Grenzen zu halten.
»Hier ist ja richtig was los«, sagte Doro.
An diesem ersten Morgen nach den Sommerferien wuselten überall lärmende Kinder durch den Vorraum. Hier und da standen Mütter und auch vereinzelt Väter herum und halfen beim Ausziehen, und die meisten von ihnen sahen genauso gestresst aus, wie ich mich fühlte.
Paulinchen zeigte uns ihren Garderobenhaken, über dem ein Schildchen mit einer Ananas klebte, und dann ihren Gruppenraum, dessen Tür mit einem großen Bild verziert wurde, das eine glücklich spielende Kinderschar in einer Wiese mit überdimensional
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