Ich bin an deiner Seite
war, würde Mattie bekommen. Sein Herz würde ihr immer offen stehen, und ihrer Mutter. Aber für alle anderen war es verschlossen.
***
Der Abend schien ein Reich der Gegensätze zu sein. Das Hotelzimmer war kalt, obwohl schwüle Hitze die Insel Hongkong dominierte. Die Sonne war untergegangen, doch die Gebäude waren hell erleuchtet, strahlten, als wären sie mit Weihnachtslichtern geschmückt. Obwohl Taxis und Züge und Schiffe sich unten bewegten, konnte man vierzig Stockwerke darüber bei geschlossenen Fenstern nur das Summen der Klimaanlage hören.
Ian lag im Bett neben Mattie, die Augen geschlossen, die Gedanken in Aufruhr. Obwohl es schon nach Mitternacht war, konnte er nicht schlafen. Seine Gedanken wanderten von Rupi zu Mattie und zu Kates Bitte. Er war nicht sicher, wie er Rupi weiterhin helfen sollte, aber er wusste, dass er es tun musste. Er fragte sich, wie er Mattie öfter zum Lächeln bringen sollte. Und er erinnerte sich daran, wie Kate und Georgia zusammen gelacht hatten, wie voller Leben seine Frau gewesen war.
Nachdem er sichergestellt hatte, dass Mattie schlief, stand Ian vorsichtig wieder auf. Er sah das Fernrohr neben dem großen Fenster stehen, beschloss jedoch, nicht in das Leben anderer Leute zu blicken. Stattdessen ging er ins Bad. Obwohl er gerne die Wanne mit heißem Wasser gefüllt hätte und darin eingetaucht wäre, wollte er Mattie nicht wecken. Deshalb nahm er zwei Magentabletten, ging zurück ins Zimmer und setzte sich in einen Sessel neben dem Fenster.
Seine Brieftasche lag auf einem Tisch in der Nähe, und bald hielt er ein Bild von Kate in der Hand. Er fuhr mit dem Finger die Konturen ihres Gesichts nach, fragte sich, ob er ihr Gesicht mitnehmen würde, wenn er starb. Würde er sie jemals wiedersehen? Selbst im Tode?
Er betrachtete weiter das Foto und erinnerte sich an ihre Hochzeit, wie die Nervosität das Glück ersetzt hatte und dass sich nichts in seinem Leben jemals so richtig angefühlt hatte. Das Bild, wie sie neben ihm gestanden und seine Hände gehalten hatte, wie sie nur Augen für ihn gehabt hatte, ließ seine Stärke wanken. Er beugte sich nach vorn, rieb sich die Stirn und sehnte sich danach, diesen Tag noch einmal zu erleben, in der Zeit zurückzureisen, damit er sein Leben damit verbringen konnte, sich auf ihre Krankheit vorzubereiten, damit er einen Weg fand, sie zu retten. Er war immer intelligent gewesen – hatte seine Prüfungen mit links bestanden und später eine Firma aufgebaut, obwohl Pessimisten das für unmöglich gehalten hatten. Aber Kate hatte er im Stich gelassen. Er war überwältigt gewesen von der Komplexität ihrer Krankheit und den widersprüchlichen, komplizierten Meinungen der Ärzte. Obwohl er immer an die Wissenschaft geglaubt hatte, konnte sie Kate nicht retten. Genauso wenig, wie er es gekonnt hatte. Er war um die Welt gereist, hatte eine ganze Etage mit seinen Angestellten gefüllt, aber er hatte seine Frau nicht retten können. Und er hätte seinen gesamten Erfolg aufgegeben, um damit dieses eine Versagen wettzumachen.
Ian holte mehrmals tief Luft und biss sich auf die Unterlippe. Seine Gefühle waren eine Kombination aus Schuld und Verwirrung, Wut und Traurigkeit. Er legte das Foto von Kate weg und fuhr sich mit den Händen durchs Haar, sah sich zu Mattie um. Sie lag da und hatte das Laken bis an ihr Kinn gezogen, ein in Baumwolle gehüllter Engel.
Ich werde dich niemals verlassen, Kate, für jemand anderen, dachte Ian und blickte zum Himmel. Die Liebe, die wir hatten, kann man nicht ersetzen. In diesem Punkt liegst du falsch. Genauso falsch wie jemand, der zum Sonnen in die Stadt geht. Aber ich werde tun, was du möchtest. Ich werde Georgia morgen eine Mail schreiben. Mattie und Holly hatten immer viel Spaß zusammen. Und ich möchte, dass unser kleines Mädchen wieder ein kleines Mädchen ist. Ich weiß, dass du das auch möchtest. Das ist uns beiden wichtiger als alles andere auf der Welt.
Aber ich werde ihr sagen müssen, meine Geliebte, dass wir diese Reise nicht für immer fortsetzen können, dass wir bald wieder zurück in die Wirklichkeit müssen, zurück zur Schule und zur Arbeit. Sie wird sich von Holly verabschieden müssen, genau wie sie sich von Rupi verabschieden musste. Und wenn sie glaubt, dass ihre Freunde zu Hause perfekte Leben haben, werden wir es irgendwie schaffen müssen, umgeben von dieser Perfektion zu leben.
Ich kann einfach … ich kann nicht alles tun, was du willst. Ich versuche es. Ich versuche es
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