Ich bin an deiner Seite
Wort, stieß mit seiner Gastgeberin an und erklärte Mattie, dass »Compai« Prost bedeutete. Die Frau leerte fast ihr ganzes Glas, stellte es auf den Tisch und ging. Mattie nippte von ihrem Saft und sah sich um. Sie nickte zu dem Altar hinüber und fragte: »Was ist das, Papa?«
»Ein Schrein.«
»Was meinst du damit?«
»Ich schätze, der Mann auf dem Bild ist Akikos Vater. Er muss gestorben sein. Und so erinnern sie sich an ihn. Und ehren ihn.«
Mattie nickte, und während sie das Bild betrachtete, fragte sie sich, wie alt Akiko wohl gewesen war, als ihr Vater starb. Die Lehrerin wirkte so glücklich. Mattie verstand nicht, wie sie sich so normal benehmen konnte, wo doch ein Elternteil nicht mehr lebte. Sie wollte gerade ihren Vater danach fragen, als Akiko mit einem lackierten Tablett erschien. »Es tut mir so leid, dass ich Sie habe warten lassen«, sagte sie lächelnd und benutzte eine Zange, um jedem Gast einen dampfenden weißen Waschlappen zu geben. »Bitte erfrischen Sie sich nach ihrem langen Tag.«
»Danke, Akiko-san«, antwortete Ian und wischte sich die Hände an dem Waschlappen ab. »Und es muss Ihnen nicht leidtun. Ihre Mutter hat sich um uns gekümmert.«
»Sie ist so aufgeregt, dass Sie hier sind. Sie putzt schon seit Stunden.«
Mattie rutschte ein wenig auf dem Kissen hin und her. »Wie sollen wir sie nennen?«
Akiko legte ihre Hände vor ihr Gesicht. »Es tut mir so leid. Ich habe die Vorstellung vergessen. Der Name meiner Mutter ist Chie.« Akiko füllte ihre Gläser bis zum Rand nach. »Bitte entschuldigen Sie mich noch einen Moment. Ich muss die Vorbereitungen für das Essen beenden.«
Als Akiko gegangen war, kam Chie mit einem großen Buch zurück. Sie setzte sich neben Mattie, öffnete das Buch und deutete auf eine Weltkarte. »Dein Haus?«
Mattie betrachtete die Karte und zeigte dann auf New York City. »Dort bin ich geboren.«
»USA«, sagte Chie hastig und spuckte die Buchstaben aus wie ein Presslufthammer.
»Ja.«
»Gut. Großer Himmel. Großes Land.« Sie fuhr mit knochigen Fingern die Grenzen von Amerika entlang. »Du leben New York? In Nähe von Golden Gate Bridge?«
»Ich wurde in New York geboren«, erwiderte Mattie lächelnd. »Ich habe immer dort gelebt. In Manhattan.« Sie hielt es für unnötig zu erwähnen, dass die Golden Gate Bridge in San Francisco stand.
Die alte Frau nickte mehrmals, als würde ihr Kopf an einem unsichtbaren Band hängen. Dann legte sie in einer fließenden Bewegung die Hände aneinander und verbeugte sich vor Ian, bevor sie allen noch einmal nachgoss. »Compai!«
»Compai«, wiederholten Ian und Mattie, und sie stießen an.
Mattie sah zu, wie Chie einen großen Schluck von ihrem Bier nahm. Ihre Gastgeberin konnte nicht mehr als fünfundvierzig Kilo wiegen, und Mattie war überrascht, sie so schnell trinken zu sehen. Grinsend stand Chie auf und verschwand erneut. Nur wenige Augenblicke später erklang traditionelle japanische Musik aus der Küche. Chie kam zurück und füllte die Gläser noch einmal auf, obwohl sie noch fast voll waren.
»Baden?«, fragte Chie und tat so, als würde sie sich heftig abschrubben.
Ian erinnerte sich daran, dass die Japaner gerne abends badeten, manchmal vor dem Essen. Er war mit Kate oft in einem der Badehäuser in Kyoto gewesen, wo sie jeweils in die Männer- und die Frauenabteilung gingen, sich in einer winzigen Dusche säuberten, bevor sie sich dann in eine Wanne voll mit nackten Fremden setzten. »Möchtest du das versuchen?«, fragte er Mattie. »Das machen sie so hier drüben.«
Mattie sah Chie an, die wieder so tat, als würde sie sich schrubben. »Nein … schon gut. Aber danke.«
Chie lächelte. »Du wunderschöne Augen«, sagte sie und kniete sich hin, um noch einmal von ihrem Bier zu trinken. Sie bewegte die Arme, so als würde sie schwimmen. »Deine Augen Ozean, gleiches Blau.«
»Ihre Augen sind auch sehr schön.«
»Ach, meine Augen, wie Dreck. Kein Schwimmen im Dreck.«
Mattie kicherte, als Chie so tat, als würde sie beim Schwimmen stecken bleiben. »Sie müssen sich mehr anstrengen«, sagte sie, und Chie tat so, als würde sie sich selbst ausbuddeln.
»Ich zu alt. Kann nicht sehen. Kann nicht hören. Kann nicht schwimmen.«
»Wenn Sie zu alt sind, warum sitzen Sie dann auf dem Boden? Tut Ihnen nicht der Hintern weh?«
Chie schürzte die Lippen und zuckt mit den Schultern. »Hintern?«
»Hier«, erwiderte Mattie und berührte die Unterseite ihrer Hüfte.
»Mein Hintern weg.
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