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Ich bin an deiner Seite

Ich bin an deiner Seite

Titel: Ich bin an deiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Shors
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geliebt, während in der Ferne Züge vorbeirumpelten.
    Kates Wohnung war nur ungefähr fünf mal zehn Schritte groß gewesen, aber die Enge hatte sie einander nur noch näher gebracht. Sie hatten sich in diesem kleinen Raum ineinander verliebt, zusammengeführt von Wänden und Verlangen und einer Welt, in der ihre Wege sich auf schicksalhafte Weise gekreuzt hatten.
    Ian ging schneller und führte Mattie zu einem Kanal, der am Fuße des Berges entlanglief. Der Kanal war von blühenden Bäumen gesäumt, und ihm fiel wieder ein, wie er Arm in Arm mit Kate daran entlanggelaufen war. Statt abzubiegen, um mit Mattie noch einmal diesen Weg zu gehen, blieb Ian auf der Straße, die bald in einen gepflasterten Wanderweg mündete. Nach ein paar Minuten endete die Straße, und sie standen am Fuß eines Berges in der Nähe eines Bambuswaldes.
    Er deutete auf den Weg vor ihnen. »Das ist er, Ru. Da hinauf sind deine Mutter und ich immer gewandert.«
    »Gehen wir.«
    Und so gingen sie, folgten dem Pfad, den die Mönche vor zweitausend Jahren in den Berg geschlagen hatten. Der Bambuswald verschwand bald und wurde von einer Kombination aus Ahorn- und Tannenbäumen ersetzt. Sonnenstrahlen brachen durch das dichte Blätterdach über ihnen und fielen auf Farne, moosbedeckte Baumstämme und einen Bach, der den Weg immer wieder kreuzte. Feuchtigkeit hing in der Luft, während sie in den Bauch einer Regenwolke hinaufstiegen.
    Mattie folgte ihrem Vater und blieb plötzlich stehen, als sie sah, wie ein Lichtstrahl auf eine Reihe von Steinstufen vor ihr fiel. Über den Treppen thronte der Wald, üppig und fast leuchtend. »Warte, Papa«, sagte Mattie und setzte den Rucksack ab. »Ich muss das hier für Mami malen.«
    Ian sah sich um, nickte langsam, während ihm bewusst wurde, wie schön die Umgebung war, eine Schönheit, auf die Kate ihn aufmerksam gemacht hätte, genau wie Mattie es jetzt tat. »Gut beobachtet, Ru«, antwortete er und wusste, dass ein Teil seiner Frau immer in seiner Tochter sein würde.
    Sie sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Geht es dir gut?«
    »Lass mich zusehen, wie du zeichnest.«
    Mattie setzte sich auf den verrotteten Stamm eines längst toten Baumes und öffnete ihren Skizzenblock. Sie benutzte einen grauen Bleistift, um den Weg zu zeichnen, drei verschiedene Grüntöne für den Wald und eine Reihe von anderen Farben, um das Sonnenlicht und den Bach abzubilden. Ihre Fertigkeiten waren dann doch noch so begrenzt, dass sie unabsichtlich den Kontrast zwischen den Farben übertrieb, genauso wie die Konturen der Umgebung. Ein Farn war zu grün. Baumstämme zu gerade. Aber dennoch entstand langsam ein Abbild der Schönheit, die vor ihr lag. Und obwohl die Sonnenstrahlen zu ausgeprägt und hell waren, gaben sie ihrem Bild eine Wärme, die sonst vielleicht nicht existiert hätte.
    Ian sah zu, wie die kleinen Finger seiner Tochter die Buntstifte führten und weglegten. Er trat näher, legte seine Hand auf ihre Schulter. »Das ist wunderschön«, sagte er und beugte sich hinunter, um sie aufs Haar zu küssen. »Und sie wird es lieben.«
    »Glaubst du?«
    »Wann hätte deine Mutter je etwas nicht geliebt, was du gemacht hast?«
    »Sie wird es doch sehen, nicht wahr?«
    Ian blickte hinauf in die Baumkronen. »Ich weiß es nicht, Ru. Aber deine Mutter, sie glaubte, dass sie es tun würde. Und sie war näher … an etwas … an einem Ende, einem Anfang … als wir es waren. Also vielleicht wusste sie etwas, das wir nicht wissen. Und wenn sie es geglaubt hat, dann denke ich, dass wir es auch tun sollten.«
    »Ich glaube daran.«
    »Ich weiß, dass du das tust«, sagte er, und seine Augen füllten sich mit Tränen. »Und ich bin froh, dass es so ist.«
    Mattie beendete ihr Bild, steckte ihren Skizzenblock in ihren Rucksack und stand auf. »Lass uns gehen.«
    Der Weg führte weiter nach oben. Eine Stunde verging, bevor sie den Gipfel des Berges erreichten, von dem aus sie einen unverstellten Blick über Kyoto hatten. Die Stadt lag mitten in einem üppig grünen Tal umgeben von Bergen. Obwohl ein großer Teil des modernen Kyotos einförmig und hässlich war, wurden andere Teile von alten Tempeln, Schreinen und Gärten dominiert. Der Kamo floss von Norden nach Süden und wurde überspannt von einer Reihe von Brücken, auf denen Züge und Autos fuhren. Selbst aus der Entfernung von mehreren Kilometern konnte man sehen, wie die Züge sich bewegten, glänzende Stahlschlangen, die in Tunneln oder hinter Gebäuden verschwanden.
    Ian ging

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