Ich bin an deiner Seite
zu einer nahe gelegenen Lichtung und erinnerte sich daran, wie er und Kate hier gepicknickt und Wein getrunken hatten, während der Nachmittag verging. Auf der Suche nach Spuren ihrer Anwesenheit setzte er sich auf einen glatten Stein, in den die Mönche eine Reihe von japanischen Zeichen gemeißelt hatten.
»Weißt du, was das bedeutet?«, fragte Mattie.
»Ja, Schatz. Ich habe mal darüber gelesen. Und ich habe es nie vergessen. ›Lebe zufrieden.‹ Das heißt es.«
Mattie nickte und betrachtete die Bäume um sie herum. »Welcher würde Mami gefallen?«
»Entscheide du.«
Ihr Blick wanderte von Baum zu Baum. Obwohl es viele Pinien gab, interessierte sie sich mehr für die Ahornbäume, weil an ihnen frische Blätter waren. Sie hatten den Winter überlebt und wuchsen, wandten sich der Sonne entgegen. Mattie ging zu einem dicken Ahornbaum, der sich der Stadt entgegenneigte. »Sieht der aus wie ein Wunschbaum?«
Ian trat neben sie. »Wenn nicht, dann weiß ich nicht, welcher einer sein sollte.«
»Kannst du mich hochheben, Papa?«
»Ich klettere mit dir rauf.«
Er hob sie zu den unteren Ästen hinauf, sodass sie danach greifen und sich hochziehen konnte. Als sie weitergeklettert war, sprang er hoch, griff nach den Ästen und folgte ihr. Sie bewegte sich vorsichtig, weil sie bisher nur auf ein paar Bäume im Central Park geklettert war. Ohne nach unten zu sehen, stieg sie weiter hoch und achtete darauf, keine Zweige abzubrechen oder Blätter abzureißen. Endlich, als sie ungefähr sechs Meter über dem Boden war, setzte sie sich auf einen dicken Ast und griff nach der Hand ihres Vaters. Ian setzte sich neben sie und sah sie an.
»Hast du den Faden?«, fragte sie.
»Warum gibst du mir nicht die Blätter, Schatz, und ich binde sie an?«
Mattie tat, worum er sie gebeten hatte, und reichte ihm die beiden Bilder und ihren Wunsch. Ian nahm die drei Blätter, legte sie aufeinander und rollte sie vorsichtig zusammen. Dann benutzte er einen Bindfaden, um das aufgerollte Papier zu einer Rolle zusammenzubinden. Er deutete auf einen armdicken Ast, aus dem grüne Blätter sprossen, und fragte: »Wie wäre es mit der Stelle dort?«
»Die ist gut, Papa. Da sieht sie es.«
Ian band ihre Bilder und ihren Wunsch an den Baum. Er benutzte mehrere Bindfäden, sodass kein Windstoß das Band zwischen Papieren und Ast trennen konnte. Er dachte an Kate, sterbend in ihrem Krankenhausbett, und fragte sich, wie ihre Tochter ihr ihre Wünsche schicken konnte. Und dieser Gedanke löste neuen Schmerz in ihm aus – ein großes Gefühl der Liebe, des Verlustes und des Vermächtnisses. Er blickte zum Himmel und rang mit sich, ob das, was Kate geschrieben hatte, wahr sein konnte. Ob sie Mattie und ihn sehen konnte, wie sie in einem Baum über der Stadt saßen. Wenn es eine Zeit gab, in der sie sie sehen konnte, dann jetzt. Wenn es einen einzigen Moment gab, an dem er ihre Anwesenheit fühlen wollte, dann war es genau dieser Moment. Er war ihm um die Welt gefolgt, diesen Berg hinaufgestiegen und saß jetzt auf dem Ast mit ihm und Mattie.
»Ich liebe dich, Ru«, sagte er leise und küsste Matties Hinterkopf, den Blick weiter nach oben gerichtet. Er versuchte, seine Traurigkeit zu unterdrücken, aber das Gefühl war zu stark. Er fühlte Kates Anwesenheit nicht, obwohl er sie so gerne fühlen wollte. Und deshalb weinte er. Genau wie Mattie. Er hielt sie dicht an sich gepresst, und sie klammerten sich aneinander, Vater und Tochter, und weinten um eine Frau, die sie geliebt und verlassen hatte.
Ian wollte an Kates Worte glauben, an die Wunschbäume, aber sosehr er es auch versuchte, er konnte es nicht. Wie konnte er an so viel Gutes glauben, wenn genau dieses Gute ihm genommen worden war?
Er wusste allerdings, dass Mattie daran glauben musste, dass sie nicht aufblühen konnte, wenn ihr der Glaube fehlte. Deshalb flüsterte er ihr, während er weinte, zu, wie sehr ihrer Mutter ihre Bilder gefallen würden. Und dass ihr Wunsch, was immer es war, ganz sicher in Erfüllung gehen würde.
Nepal
Klettern und Fallen
Jemand, der nicht tanzen kann, behauptet, der Boden sei uneben. Nepalesisches Sprichwort
Fünf Tage später hatten Ian und Mattie fast alles von Kyoto und seiner Umgebung gesehen. Sie hatten den Todai-ji-Tempel besichtigt, das größte Holzgebäude der Welt. An den Ufern des Kamo hatten sie gepicknickt und den Kranichen dabei zugesehen, wie sie Flusskrebse fingen. Sie waren in Kimonos gehüllten Frauen gefolgt, die auf Holzsandalen
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