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Ich bin an deiner Seite

Ich bin an deiner Seite

Titel: Ich bin an deiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Shors
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ergriff, bis das Hindernis überwunden war. »Es ist schön hier, nicht wahr?«, fragte er und atmete den Duft der Bergblumen ein.
    Sie nickte, während ihr Wanderstock in ständiger, geübter Bewegung war. »Normalerweise.«
    »Leslie sagt, dass du in den Bergen wohnst. Stimmt das?«
    »Seit mehr als einem Jahr.«
    »Wie ist das so?«
    Sie winkte einem jungen Mann in der Ferne, der auf dem Dach eines Steinhauses saß. »Ganz gut. Die Nepalesen sind gute Menschen. Und sie leben an einem wunderschönen Ort. Aber das Leben ist hart hier. Wirklich hart. In meinem Dorf ist noch Winter. Der Stapel Feuerholz auf meinem Dach war fast zwei Meter hoch, und jetzt ist er beinahe aufgebraucht.«
    »Sakrament.«
    »Was?«
    »Oh, tut mir leid. ›Wow‹ würdet ihr wahrscheinlich sagen.«
    Der Hauch eines Lächelns erschien auf Tiffanys Lippen. »Dieser wunderschöne Ort sorgt für ein hartes Leben. Das hat mir mal ein Einheimischer gesagt, als ich hier ankam. Und er hat recht. Und ein hartes Leben führt zu einigen schrecklichen Dingen.«
    »Zu was denn zum Beispiel?«
    »Das willst du nicht hören. Glaub mir. Besser, du siehst dich um und genießt den Tag.«
    »Ich kann beides. Drei Dinge gleichzeitig wären vermutlich ein bisschen schwierig. Aber zwei gehen.«
    Tiffany blickte zu ihm auf und schob ihr Bandana zurecht. »Vor zwei Monaten hat eine Frau aus meinem Dorf geheiratet. Sie war eine Freundin von mir. Und dann hat ihre Familie ihre Mitgift nicht bezahlt. Und deshalb hat ihr Mann … er hat sie umgebracht. Mit Öl und Feuer. Und ich … ich war an ihrer Seite, als sie starb. Und das war so hässlich, wie die Berge schön sind.«
    Ian blickte ihr wieder ins Gesicht und dachte, dass sie wie Mattie zu jung war, um eine solche Last zu tragen. »Es tut mir leid«, sagte er. »Das ist verdammt schrecklich.«
    »Das war es. Das ist es.«
    »Hast du darüber nachgedacht, nach Hause zu fahren?«
    »Mehr als die Hälfte unserer ursprünglichen Gruppe hat das schon getan. Viele Leute können … bestimmte Dinge nicht ertragen. Vor ein paar Wochen wurde ein Mädchen aus Atlanta nackt und schreiend in einem Baum gefunden. Ihre Eltern sind gekommen und haben sie mit nach Hause genommen.«
    »Aber du bleibst?«
    »Ja, ich bleibe. Das hier ist etwas … etwas Hartes, aber Gutes. Und ich werde nicht gehen, bis meine Zeit hier zu Ende ist.«
    Sie ließ ihren Wanderstock fallen, und er hob ihn auf, was nicht leicht war mit dem Gewicht des Rucksacks. »Was du machst«, sagte er, »was ihr alle macht, ist wundervoll. Als ich in deinem Alter war, habe ich in Japan Englisch unterrichtet. Für jede Menge Knete.«
    »Daran ist doch nichts falsch.«
    »Nein, aber ich habe nicht die Welt gerettet.«
    »Das mache ich auch nicht. Gar nicht.«
    Eine Herde Yaks näherte sich – büffelartige Kreaturen, die Ian damals in viel größerer Höhe gesehen hatte. Die Yaks wurden von drei Jungen mit Bambusstöcken in schmutziger Kleidung gehütet. Der größte Yak hatte ein zotteliges braunes Fell, riesige gebogene Hörner und eine rostige Glocke von der Größe einer Grapefruit um den Hals hängen. Die Glocke läutete im Rhythmus der Schritte des Tiers.
    Ian nickte den Jungen zu. »Namaste«, sagte er, legte die Handflächen aneinander und verbeugte sich leicht.
    Die Jungen grinsten und erwiderten den Gruß. Nachdem sie gegangen waren, wandte sich Tiffany an Ian. »Das hast du genau richtig gemacht. Woher wusstest du das? Ich dachte, du wärst gerade erst in Kathmandu angekommen.«
    »Ich war schon mal hier. Meine Frau und ich waren vor fünfzehn Jahren auf dem Annapurna-Pass.«
    »Wirklich?«
    »Meine Knie waren damals viel jünger. Ich bezweifle, dass ich das heute noch mal tun könnte. Ich schätze, ich müsste einen Träger engagieren, der mich raufbringt.«
    »Und deine Frau? Ist sie in New York?«
    Ian sah zum Himmel, dann hinüber zu Mattie. »Sie ist gestorben. Ein Sturm kam und hat sie mitgenommen.«
    Tiffany legte ihre Hand auf seinen Ellbogen und drückte ihn. »Es tut mir so leid. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es tut mir leid.«
    Er ging weiter und starrte auf die Berge in der Ferne, fragte sich, ob Kate sie sehen konnte. »Darf ich dich was fragen?«, erkundigte er sich.
    »Sicher.«
    Er trat näher zu ihr und flüsterte: »Findest du, dass mein kleines Mädchen glücklich wirkt? Ich versuche – ich versuche so sehr – sie glücklich zu machen, ihr Hoffnung zu geben. Aber ich bin darin nicht immer gut.«
    »Bist du deshalb mit ihr hier?

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