Ich bin an deiner Seite
hintersten Ecke knisterte in einem riesigen Steinkamin ein Feuer, das das Zimmer mit Wärme und Licht füllte. Ein abgenutzter Holztisch stand in der Mitte und darauf Kerzen sowie Ians und Matties Essen. Die beiden Reisenden waren die einzigen Gäste des Restaurants. Leslie, Blake und Tiffany waren in ein anderes Hotel auf der gegenüberliegenden Straßenseite gegangen, weil ein Zimmer dort nur zwei Dollar die Nacht kostete anstatt die vier, die Ian bezahlt hatte.
Mattie beäugte das Essen vor ihr und war nicht sicher, was sie davon halten sollte. Sie hatte Dal Bhat bestellt, eines der beliebtesten Gerichte Nepals. Das Essen bestand aus gekochtem Reis und einer würzigen Suppe aus Linsen, Zwiebeln, Chili, Tomaten, Ingwer, Koriander und Kurkuma. Sie hatte überlegt, ob sie die Pizza nehmen sollte, die ebenfalls auf der Karte stand, aber ihr Vater hatte ihr versprochen, dass das einheimische Essen viel besser war als irgendein westliches Gericht. Die Pizza, da war er sicher, würde nur aus Spaghettisauce und etwas Yak-Käse auf Fladenbrot bestehen.
»Wie weit laufen wir morgen?«, fragte sie, während sie einen Löffel von ihrer Suppe aß und sich wünschte, sie hätte Pizza bestellt.
Ian trank aus einer zerkratzten Mineralwasserflasche. »Ein bisschen weiter als heute, denke ich. Und wir wandern auch höher.«
»Wie viel höher?«
»Oh, für dich sind es nur ein paar Sprünge, Ru. Ungefähr dreißig Meter, steht im Reiseführer.«
Mattie war es gelungen, mehr als die Hälfte von ihrem Dal Bhat zu essen, als die Hotelbesitzerin – eine Frau, die zehn Jahre älter aussah, als sie wahrscheinlich war – zwei Töpfe an ihren Tisch trug und noch mehr Reis und Suppe in ihre Schüsseln füllte. »Du großes Mädchen«, sagte die Frau, deren Englisch so uneben war wie die Wände ihres Restaurants. »Musst essen mehr, um höher zu laufen.«
»Danke.«
Die Frau, die eine grellbunte Robe trug und sich das Haar zu einem Knoten aufgesteckt hatte, lächelte. »Ich habe Mädchen wie dich. Drei Mädchen. Aber jetzt sie alt. Jetzt sie haben Babys. So viele Babys.«
»Wie viele?«
Das Lächeln der Wirtin enthüllte mehrere Zahnlücken. »Fünfzehn«, sagte sie und rollte mit den Augen. »Vorher, ich helfen Töchtern. Aber eines Tages, mein Mann gehen in Berge, Holz holen. Große Lawine an dem Tag. Mann kommen nicht nach Hause. Also ich arbeiten allein in sein Hotel.«
Mattie nickte, nicht sicher, was sie sagen sollte. »Ihre Suppe ist gut. Danke.«
»In Nepal wir essen Dal Bhat. Frühstück, Mittag und Abend.«
»Wirklich? So oft?«
»Dal Bhat machen dich stark.«
»Ich … fühle mich stark.«
Die Frau lächelte erneut und tätschelte Matties Schulter. »Du essen mehr. Dann du schlafen gut heute Abend.«
Ian und Mattie beendeten ihre Mahlzeit, bezahlten die Rechnung und kehrten in ihr Zimmer zurück. Das Hotel war ein rechteckiges Gebäude, in dem das Restaurant auf der einen und die sechs Zimmer auf der anderen Seite lagen. Der Flur mit den Steinwänden war sauber, der Holzboden blankpoliert von den zahllosen Füßen, die ihn betreten hatten. Ian ging an dem Gemeinschaftsbad vorbei zu der letzten Tür auf der Linken und schob einen Schlüssel in das Schloss unter dem Türknauf. Ihr Zimmer war klein und nichtssagend. Sie fügten ihre beiden Schlafsäcke erneut zusammen, und die violetten Säcke dominierten das Bett.
»Sollen wir noch ein bisschen lesen, Schatz?«, fragte Ian und holte zwei Taschenlampen aus seinem Rucksack.
»Ja klar.«
»Du ziehst dich zuerst um. Ich gehe so lange raus.«
»Okay.«
Ian trat in den Flur, wo er noch immer den Rauch des Kaminfeuers riechen konnte. Er fragte sich, wie die Frau an das Feuerholz kam, jetzt, wo ihr Mann nicht mehr da war. Musste sie es selbst sammeln? Wahrscheinlich konnte sie es sich nicht leisten, welches zu kaufen. Vielleicht half ihr einer ihrer Schwiegersöhne dabei. Er hoffte es.
Als Ian ins Zimmer zurückgekehrt war, schlüpfte Mattie in den Schlafsack und schloss die Augen, während er seinen Pyjama anzog. Dann benutzte er Mineralwasser, um sich die Zähne zu putzen, wobei er vorsichtig in ein Tuch ausspuckte, das er dann in einen rostigen Eimer warf, der als Abfalleimer diente. Er nahm sich eine alte Ausgabe der Newsweek, die er in Kathmandu gekauft hatte, legte sich neben Mattie und knipste die Taschenlampe an. Sie hielt ihre bereits in der Hand und las das fünfte Buch der Harry-Potter-Reihe – eigentlich ein etwas schweres Werk, um es mit auf einen Berg
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