Ich bin an deiner Seite
zu schleppen.
»Ist unser tapferer Junge mal wieder in Schwierigkeiten?«, fragte Ian.
»Er hatte einen wirklich langweiligen Sommer, und jetzt ist er wieder in Hogwarts, was eigentlich gut wäre – aber er streitet sich mit seinen Freunden.«
»Er streitet mit seinen Freunden? Warum?«
»Niemand glaubt, dass Voldemort wieder da ist.«
»Aber Harry schon?«
»Natürlich.«
Ian lächelte. Er freute sich, dass Mattie so in die Geschichte vertieft war, die sie manchmal zusammen lasen. »Es ist doch nicht zu unheimlich, oder?«
»Na ja«, sagte sie und schloss das Buch ein wenig, »vielleicht kannst du mir nachher noch eine Geschichte erzählen. Eine schöne Geschichte.«
»Natürlich, Schatz. Sag mir einfach, wann.«
Ian blätterte seine Zeitschrift durch, überflog die Leserbriefe, die politischen Karikaturen und einen Artikel über den steigenden Meeresspiegel. Manchmal blickte er durch das einzige Fenster des Zimmers und sah, wie die Dunkelheit sich in die Welt schlich. Jetzt, wo Kate nicht mehr da war, empfand er die Dunkelheit anders. Er dachte abends öfter an sie, denn nach Matties Geburt hatte der Abend sie auf eine Weise zusammengebracht, wie der Tag es nicht mehr konnte. Wenn er nicht lange im Büro sein musste, dann hatten sie oft zusammen Wein getrunken und sich von ihrem Tag erzählt, wenn Mattie schon im Bett lag. Manchmal musste er noch E-Mails beantworten, und sie bezahlte neben ihm Rechnungen. Aber selbst schweigend waren sie zusammen gewesen, hatten den anderen gespürt, dankbar für den Trost, den die Anwesenheit des anderen bedeutete.
Mattie legte ihr Buch beiseite. »Papa, kannst du mir jetzt die Geschichte erzählen? Ich bin müde.«
»Aye, aye, Erster Maat«, erwiderte er und schaltete die Taschenlampe aus. Sie machte ein paar Sekunden später das Gleiche, und im Zimmer wurde es noch dunkler. »Es fühlt sich an, als hätte ich die Augen geschlossen«, meinte er. »Vielleicht ist es so, wenn man eine Fledermaus ist.«
»Aber du kannst nicht fliegen. Und du hast kein Radar.«
»Nein, Schatz. Noch nicht. Aber ich arbeite daran.«
»Warum gibt es hier keinen Strom?«
»Ich schätze, irgendwann, in ein paar Jahren, wird es ihn geben. Die Straße, über die wir gekommen sind, ich denke, dass sie irgendwann direkt durch das Tal führt. Und dann haben die Leute Licht und Flimmerkisten und all den anderen sinnlosen Kram.«
»Gefällt es dir so besser, im Dunkeln? Ist das besser als Fernsehen?«
Er zog den Schlafsack höher, achtete aber darauf, dass er nicht ihr Gesicht bedeckte. »Manchmal ist es gut, sich an unsere Wurzeln zu erinnern«, antwortete er und spürte, wie ihre Füße sich an seine Schienbeine legten. »Und Flimmerkisten erinnern uns nicht daran.«
»Stimmt.«
»Weißt du, deine Mutter hatte nie einen. Nicht mal als Kind. Sie hat stattdessen Bücher und Gedichte gelesen. Deshalb mochte sie Gedichte so sehr. Deshalb hat sie immer alles angesehen und beschrieben, was sie dabei empfand.«
»Das konnte sie gut.«
»Es war gut, dass ihre Mutter Lehrerin war. Ich schätze, sie haben viel zusammen gelernt.«
»So wie Mami und ich.«
Er zog zärtlich an ihrem Ohrläppchen. »Deinen Zehen sind wie verdammte Eiswürfel.«
»Sie sind kalt.«
»Bist du sicher, dass du nicht lieber deinen eigenen Schlafsack hättest?«, fragte er lächelnd.
»Auf keinen Fall.«
»Dann darf ich also beide Schlafsäcke den Berg raufschleppen, und jetzt bin ich auch noch deine Heizdecke?«
»Kannst du mir eine Geschichte erzählen? Etwas Schönes?«
»Worüber? Über ein Tier? Eine Prinzessin? Ein Mädchen?«
»Nur ein Mädchen. Ein Mädchen wie mich.«
»Ein Mädchen wie dich? Ein kleines Mädchen mit Eisfüßen, das seinen Vater foltert?«
»Papa!«
»Schon gut, Schatz. Gib mir nur einen Moment. Ich denke mir etwas aus. Und ich muss hier im Dunkeln erst mal mein Radar anwerfen.«
Während ihr Vater über seine Geschichte nachdachte, bewegte Mattie weiter ihre Füße in dem riesigen Schlafsack und versuchte, sie aufzuwärmen. Irgendwo in der Ferne erklang eine Gitarre. Mattie dachte an Blake und dann an ihre Freunde zu Hause in der Schule und fragte sich, was sie wohl gerade machten. Aus irgendeinem Grund vermisste sie sie nicht so sehr, wie sie gedacht hatte. Ein Teil von ihr wollte sie gar nicht sehen. Sie wirkten so glücklich. Ihre Mütter lebten noch.
Ian drehte sich zu ihr um. »Das klingt schön, nicht wahr?«
»Es ist schön. Blake ist nett.«
»Bist du bereit für die
Weitere Kostenlose Bücher