Ich bin an deiner Seite
Geschichte?«
»Aye, aye, Captain.«
»Nun, es war einmal ein kleines Mädchen, das war zehn Jahre alt und nahm seinen Skizzenblock überallhin mit.«
»War ich das?«
»Nein, ich schätze nicht. Aber sie war so wie du. Sie ähnelte dir in mancher Hinsicht. Obwohl sie nicht so störrisch war.«
»Auf welche Art war sie wie ich?«
»Na ja, Malen war ihre Lieblingsbeschäftigung. Und deshalb nahm sie ihren Skizzenblock überallhin mit und blieb oft an Orten stehen, die ihre Aufmerksamkeit erregten. Sie setzte sich in eine Ecke, um einen Straßenhund zu zeichnen, lief durch einen Wald, bis sie genau den richtigen Baum fand. Ihr Skizzenblock war hundert Seiten dick, und fast jede Seite war mit etwas Schönem gefüllt, etwas, das sie aus ihrem Herzen heraus geschaffen hatte. Manche ihrer Bilder zeigten Menschen, die sie liebte, ihre Lehrer, ihre Freunde. Sie zeichnete Herzchen um sie herum und ließ sie breit lächeln.«
Er hielt einen Moment inne und lauschte der Melodie der Gitarre. »Eines Tages machte sie eine Reise, ging hoch hinauf in die Berge. Ihr Vater begleitete sie. Sie stiegen höher und höher, durch die Wolken, und suchten nach Regenbögen, nach etwas, das sie malen konnte. Schließlich fanden sie genau das Richtige, ein grünes Tal mit grasenden Rehen, und das Mädchen öffnete seinen Rucksack, um die Szene auf dem Papier zum Leben zu erwecken. Erst da merkte sie, dass sie ihren Zeichenbock zu Hause vergessen hatte. Sie hatte farbige Kreide dabei, aber kein Papier.«
»Oh nein«, sagte Mattie und zog sich den Schlafsack bis zum Kinn. »Wie kann sie das Papier vergessen? Sie muss furchtbar unglücklich gewesen sein.«
»Sie war unglücklich. Sie war ganz aufgelöst, um die Wahrheit zu sagen. Und ihr Vater war es auch. Er wollte ihr Bild sehen. Ihr Verlust war sein Verlust.«
»Und was hat sie gemacht?«
»Das, was jeder Künstler tun würde. Sie hat improvisiert, Ru. Sie hat sich die Tränen abgewischt, ist mit der Kreide zum nächsten Felsen gegangen, der aus Sandstein war. Er war wie eine riesige rote Tafel. Und so nahm sie ihre Kreide und zeichnete das Tal und die Rehe. Sie arbeitete den ganzen Nachmittag an ihrer Zeichnung. Sie hatte noch nie etwas so Großes und Schönes gemacht. Und als sie fertig war, wusste sie, dass sie ihr erstes Meisterwerk geschaffen hatte. Nichts in ihrem Skizzenblock reichte an es heran. Was sie auf dem Felsen gezeichnet hatte, war … er war wie ein Lied, das ein Musiker zum Leben erweckt hatte. Etwas, das freigelassen worden war … und nicht erschaffen. Und so wurde aus ihrem Verlust an jenem Tag ein Gewinn, es wurde etwas Wunderbares und Unerwartetes. Als würde man die Feder eines Blauhähers in der Stadt finden.«
Mattie schmiegte sich dichter an ihn, obwohl ihre Füße nicht mehr kalt waren. »Was ist mit dem Regen? Hat der Regen das Bild nicht abgewaschen?«
Ian strich ihr über die Stirn. »Sie hat darüber nachgedacht, aber ich glaube, es war ihr egal, weil sie etwas Schönes geschaffen hatte, und Schönheit kann man nicht einfach auslöschen. Ihre Zeichnung, ihre Kreide, würde vom Regen in die Erde gespült werden. Also würde ihre Zeichnung ein Teil der Erde sein. Ein Teil der Ewigkeit.«
»Was passierte dann?«
»Sie stieg weiter in die Berge hinauf und malte. Manchmal nahm sie ihren Skizzenblock mit und manchmal nicht. Ihr Skizzenblock war ein Teil von ihr, das wusste sie. Das würde er immer sein. Aber sie malte auch auf Felsen und Klippen, auf Zement. Das waren ihre liebsten Bilder, weil sie ihr ein Gefühl von Freiheit gaben. Jahre später wurde sie berührt, eine wirklich hervorragende Künstlerin. Die Leute reisten um die ganze Welt, um ihre Arbeiten zu sehen, die in den besten Galerien ausgestellt wurden. Und obwohl die Bilder, die sie auf Leinwand und Papier gebannt hatte, die Leute zum Lächeln brachten und sie damit eine Menge Geld verdiente, malte sie weiter draußen, in der Natur, wo nur die Menschen, die ihr nahestanden, die Schönheit sahen, die sie schuf. Sie malte etwas Wundervolles, und dann wusch der Regen es ab. Und das passierte wieder und wieder und wieder.«
»Sie war glücklich, nicht wahr, Papa?«
»Ja, Schatz. Sie war glücklich. Natürlich nicht jeden Tag. Niemand kann das. Sie war kein Hund, der ständig mit dem Schwanz wedelt. Aber sie hatte ein gutes Leben. Und sie hat immer gemalt, selbst als sie eine alte Frau war und ihre Hände ihr nicht mehr richtig gehorchten. Und ihre Familie, diejenigen, die noch lebten, und
Weitere Kostenlose Bücher