Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin an deiner Seite

Ich bin an deiner Seite

Titel: Ich bin an deiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Shors
Vom Netzwerk:
andere Geschichte erzählen? Von dem Tag, als Mattie geboren wurde?«
    Er nickte und blickte auf ihr schlafendes Mädchen, sah Kate ins Gesicht. Aber anstatt Kate die Geschichte von Matties Geburt zu erzählen, sagte er ihr, was er in ihrem kleinen Mädchen sah, denn er sah so viele wunderschöne Dinge. Er sah Kates Augen, ihren Mund, ihre Nase, ihre Sommersprossen. Und noch besser, Kate hatte Mattie ihre besten Eigenschaften mitgegeben – sie war großzügig und liebevoll, kreativ und mutig.
    Ian flüsterte weiter, während Kates Atem schwächer wurde. Von Zeit zu Zeit hellte ein Lächeln ihr Gesicht auf. Ian küsste dieses Lächeln, hielt es mit seinen Lippen, bis es verschwunden war. Er sprach von Matties Geburt, von ihrem ersten Familienausflug und seiner Liebe für sie beide. Er erzählte Kate eine Geschichte von einem Jungen aus dem australischen Outback, der sich in ein Mädchen aus Manhattan verliebte, deren Seele mit seiner verschmolz. Sie hatten ihr gemeinsames Leben ohne Geld oder Weisheit begonnen, aber solche Dinge hatten sie nicht gebraucht. Sie waren zufrieden damit gewesen, einander zu haben. Nichts anderes spielte eine Rolle, sagte er, nicht, wenn ihre Liebe sie dazu brachte, Gedichte zu schreiben, darüber zu sprechen, ein neues Leben zu schaffen, die Schmerzen des anderen zu fühlen.
    Er war gesegnet, weil er sie gefunden hatte, sagte er, und versuchte, nicht zu weinen. Sie war von weither zu ihm gekommen, und er würde sie niemals gehen lassen.
***
    Ian erwachte aus seinem Traum und ging leise ins Badezimmer, setzte sich auf die Toilette und weinte. Er weinte, während die Sonne langsam die Schwärze der Nacht vertrieb und das Licht in die Welt schob, aber nicht in seine. Während er über seinen Traum nachdachte, wurde ihm zum ersten Mal klar, warum Kate Mattie und ihn nicht nach Indonesien geschickt hatte. Natürlich, dort hatte er um ihre Hand angehalten, und sie wollte ihn nicht an diesen Ort zurückschicken. Er war zu heilig, und einige Erinnerungen blieben besser unangetastet.
    Nachdem er sich drei Säureblocker aus dem Fläschchen genommen hatte, fing Ian an zu kauen, und das Salz seiner Tränen fiel auf seine Lippen und in seinen Mund und mischte sich mit dem Geschmack des Medikaments. Er hielt die Hände auf den Magen gepresst, wollte die Schmerzen und die Tränen aufhalten. Bald würde Mattie aufwachen, und er musste sich wieder in den Griff bekommen, damit er sich wieder zu ihr ins Bett legen konnte.
    Während er sich mit einem Handtuch über das Gesicht wischte, gelang es Ian, sich zu beruhigen, obwohl er sich immer noch überfordert fühlte, sowohl von der Verantwortung, Mattie allein aufzuziehen, als auch von dem Gewicht seiner Trauer. So viel von ihm war tot.
    Aber so wie immer, wenn die Trauer ihn ganz tief nach unten zog, erinnerte er sich an Mattie. Es war seine Liebe zu ihr, die ihn antrieb, durch die Kälte in die Wärme des Tages. Als er die Badezimmertür öffnete und in das Schlafzimmer zurückkehrte, sah er ihr Gesicht. Sie sah so wunderschön aus – eine Reinkarnation ihrer Mutter, aber auch ein perfektes, einzigartiges Wesen.
    Ian legte sich vorsichtig wieder neben sie und betrachtete weiter ihr Gesicht, hoffte, dass ihre Träume schön waren. Er küsste zart ihre Stirn und versuchte, die Schmerzen in seinem Magen zu ignorieren, die Schmerzen, die in den vergangenen Tagen immer schlimmer geworden waren.
    Ich liebe dich so sehr, Ru, dachte er. Du lässt mich weitermachen, wo niemand sonst das schaffen würde. Und ich werde das Versprechen halten, das ich deiner Mutter gegeben habe. Du wirst zufrieden sein und ein erfülltes Leben haben. Du wirst lachen. Ich weiß nicht, wie zum Teufel ich das anstellen soll, aber ich werde es schaffen. Also schlaf und träum schöne Dinge, träum von etwas, das dich lächeln lässt.
***
    Das Langboot war vom Bug bis zum Heck ungefähr neun Meter lang und bestand aus langen Holzbrettern, die früher lackiert gewesen, aber jetzt verwittert waren. Der Bug bog sich dramatisch nach oben, als wolle er sich gegen die Phalanx der heranrollenden Wellen wappnen. Um den Bug hingen Kränze aus Plastikblumen. Holzplanken waren quer im Boot befestigt und dienten als Sitze. Ein Dach, das nur einen kleinen Teil des Schiffs bedeckte, wurde von rostigen Stahlstangen gehalten. Am Heck wurde ein riesiger, unbedeckter Motor mit einfachem Handgas und einem Rudergriff bedient. Hinten aus dem Motor ragte eine vielleicht fünf Meter lange Stange, die fast

Weitere Kostenlose Bücher