Ich bin da noch mal hin
zuvor wanderten wir zusammen. In Santo Domingo hatten wir uns unterhalten, in León waren wir näher miteinander bekannt geworden, aber erst die Wanderung von Astorga nach Rabanal hatte uns Freundschaft schließen lassen.
Im Hof der Cowboy-Bar hatte ich ihm meine bedauerliche Serie beruflicher Missgeschicke offenbart, die der hauptsächliche Grund für meine Enttäuschung über das Leben waren:
»Was hast du denn in Nicaragua gemacht?«, will Hans wissen.
»Den Sandinisten beigebracht, wie man die Baumwollratten in Schach hält.«
»Kanntest du dich damit aus?«
»Nicht im Geringsten, wie sich herausstellte.«
»Warum hat man denn dann dich hingeschickt und nicht einen Experten?«
»Ich war die Expertin. Ich hatte gerade in Vancouver frisch meinen Master in Seuchenbekämpfung gemacht. Auf dem Papier war ich Spezialistin.«
»Hast du denn überhaupt etwas bewirken können?«
»Nein. Als ich nach einem Jahr wieder abreiste, gab es sogar noch mehr Ratten als bei meiner Ankunft. Sie fielen über die Ernte her.«
»Hast du Ratten getötet?«
»Nicht eine einzige. Doch, einmal! Mein Fahrer warf einen Stein nach einer, die im Zuckerrohr saß. Das arme Ding sah den Stein nicht kommen.«
Hans hatte wenig über seinen Beruf erzählt, nur, dass er »Komiker« sei. Erst später am Abend, in Rabanal, enthüllte er das Gesamtpanorama seines Broterwerbs. Ich dachte an jenen denkwürdigen Abend und wusste, wenn ich heute in El Ganso blieb, würde ich morgen zu früh in Rabanal eintreffen, um dort zu übernachten. Das Abendgebet in Rabanal wollte ich ebenso wenig verpassen wie die Gelegenheit, den ganzen Abend in dem Restaurant, in dem Hans mir verraten hatte, wer er wirklich war, an mir vorüberziehen zu lassen.
Der Eigentümer der Cowboy-Bar half mir bei der Entscheidung. Als er meine Tasse abräumte, erklärte er mir, bis Rabanal seien es nur noch neunzig Minuten.
»He, hombre , immer mit der Ruhe!«, rief er mir nach, als er davoneilte. »Sie haben Zeit!«
»Nein, hab ich nicht. Die Mönche singen das Abendgebet, das will ich nicht verpassen. Ich muss mich beeilen.«
»Ja, um acht! Wenn Sie in dem Tempo marschieren, sind Sie in einer halben Stunde dort. ¡Despacio! (Langsam!)«
Es war zehn vor vier am Nachmittag. Um zwanzig nach vier war ich noch nicht einmal in der Nähe von Rabanal.
Ich kehrte also zurück in das wilde Grasland der Umgebung von El Ganso und betrachtete skeptisch das Graffito auf einem blau-gelben Camino-Schild.
»Geh, Pilger … geh, aber geh langsam!«
Das klang mehr nach einer ärztlichen Anweisung als nach einem guten Rat.
Jenseits der Straße sah ich von meinem steinigen Pfad neben einem Kiefernwald aus große Gruppen immergrüner Eichen und zähe Disteln in den Wiesen, die sich bis zu den fernen, schneebedeckten Tolanes-Bergen hinzogen. Doch mich interessierte nur das Hinweisschild, das aus dem glühenden Asphalt wuchs. »Rabanal del Camino 2,2« stand da. Um 17 Uhr 5 Uhr. Plötzlich wurden meine Oberschenkel ganz steif und ich stakste einher wie auf dem Weg nach Burgos. Als ich einmal vor Schwäche rückwärts in einen Maschendrahtzaun stolperte, entdeckte ich Hunderte von grob gearbeiteten Kreuzen aus Zweigen, die durch den Draht geflochten waren. Sieht so aus, als würde auch ich hier das Zeitliche segnen, dachte ich und bedauerte schon, El Ganso verlassen zu haben. Schließlich stand ich auf, brüllte einen Fluch in das unaufhörliche Summen der Insekten und schleppte mich nach Rabanal, wo ich um 18 Uhr 20 eintraf. Für die letzten 2,2 Kilometer hatte ich fünfundsiebzig Minuten gebraucht.
An der Tür des Refugio Gaucelmo begrüßten mich drei hospitaleros .
»Bitte, setzen Sie sich«, sagte Betty aus Schottland.
»Geben Sie mir Ihren Rucksack«, befahl Dugald, ihr Ehemann.
»Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen?«, wollte Betty wissen.
»Darf ich Ihr credencial haben?«, fragte Gene aus Colorado.
»Alison und Ian lassen Sie grüßen«, keuchte ich, nachdem das kalte Wasser meine Lebensgeister wieder geweckt hatte.
»Die beiden haben Sie für morgen angekündigt. Wie haben Sie denn das geschafft?«
»Keine Ahnung. Bis El Ganso war alles prima, dann nur noch furchtbar.«
»Hier, ich trage Ihnen das Gepäck zum Bett«, bot Gene an, nachdem er mein credencial gestempelt hatte.
»Danke. Gehen Sie heute zum Abendgebet?«
»Um sieben. Das Abendgebet ist um sieben«, erklärte Betty.
Die Kirche Santa María war voll mit Pilgern, die den Blick auf das einfache Kruzifix in der
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