Ich bin da noch mal hin
hostal zurückkehrte.
Ich finde, die Nacht ist zum Schlafen da. Neun Tage ist es jetzt her, seit Dario mir auf der Cuesta de Mostelares zur Hilfe gekommen ist und hospitalero Christian in San Nicolás Wasser über unsere Füße geträufelt hat. Ich wusste nicht, ob ich sie auf diesem Camino noch einmal treffen würde. Jeder von uns muss schließlich seinen eigenen Weg gehen. Heute jedenfalls würde ich ihnen nicht begegnen, denn Hospital de Órbigo erreicht man entweder über Villar de Mazarife oder über Villadangos del Páramo. Da die beiden Etappen von Sahagún hierher meine Liebe zur ungezähmten Natur vorläufig ein bisschen gedämpft hatten, wählte ich die zivilere Route über Villadangos.
Von León bis La Virgen del Camino ziehen sich über sieben Kilometer trostlose Wohn- und Industriekomplexe hin. Das war 2001 schon kein schöner Anblick und ist es heute ebenso wenig. Als ich in der modernistischen Dominikanerkirche in Virgen del Camino José María Subirachs’ Bronzeapostel abschreite, stimme ich das einzige englische Pilgerlied an, das ich kenne.
»He who would valiant be ‚’gainst all disaster
Let him in constancy follow the Master.
There’s no discouragement shall make him once relent
His first avowed intent to be a pilgrim.
Da, da, da, da, da, da, da … I’ll fear not what men say
I’ll labour night and day to be a pilgrim.«
(Wer tapfer trotz den Widrigkeiten
den mögest du, oh Herr, stets leiten.
Es befällt ihn kein Verzagen, und er wird auch nicht
entsagen,
dem Schwur, getan vor vielen Tagen, eine Pilg’rin zu
sein.
La, la, la, la, la, … Auf Menschenwort geb ich nicht acht,
ich mühe mich bei Tag und Nacht, eine Pilg’rin zu
sein.)
Es kam mir ziemlich passend vor, dass John Bunyan die Originalfassung dieses Lieds 1684 im Gefängnis geschrieben hatte, wo er wegen Widerstands gegen die kirchliche Obrigkeit saß. Ich hatte gar nicht gewusst, dass ich in so guter Gesellschaft war. Es stärkte mein Vertrauen darauf, dass nichts, nicht einmal mein gelegentliches Fehlverhalten, mich davon abhalten konnte, mich bald schon als richtige Pilgerin zu fühlen. Subirachs’ Skulptur des heiligen Jakob deutete auf einen Pfad, der durch Brachland führte und anschließend an der N 120 entlang nach Villadangos. Shelagh und ich hatten 2001 dort übernachtet, doch heute war es erst zwei Uhr nachmittags, als ich bei der orangefarbenen Herberge ankam. Abgesehen von einem leichten Klopfen in meiner linken kleinen Zehe gab es keinen Grund, abzubrechen. Der hospitalero stempelte mein credencial mit einem Bild der Herberge und ermutigte mich weiterzugehen, solange ich mich fit genug fühlte. Hospital de Órbigo sei »wunderschön« und nur gut zehn Kilometer entfernt. Das sollte nach den sechsundzwanzig, die ich bereits hinter mir hatte, kein Problem sein.
Wie ich dort hingekommen bin, weiß ich nicht mehr.
Für die vier Kilometer zwischen grünen Mais- und Salatfeldern an der Straße nach San Martín brauchte ich nur eine Stunde. Dreißig Kilometer hatte ich schon bewältigt, vor mir lagen nur noch sechs. Aber trotz meines Optimismus in Villadangos hatte ich meine Leistungsgrenze erreicht, und das Gehen fiel mir schwer. Bereits wenige Minuten hinter San Martín bekam ich außerdem große Schmerzen. Nadelstiche in allen Zehen bei jedem Schritt. Eigentümlich hinkend kam ich bis zu einem Wasserturm, wo ich auf einer Bank neben einem Bewässerungsgraben zusammenbrach. Blaue Libellen tanzten über dem dunklen Wasser, und die Sonne brannte erbarmungslos auf meinen unbezahlbaren neuen Hut. Ich riss mir den rechten Stiefel herunter und warf ihn zu Boden wie anschließend auch die unschuldige Socke. Zerfetztes Fleisch hing unter meinem pochenden kleinen Zeh, der große sah aus, als würde er gleich platzen. Blasen unter jedem Zehennagel waren die Erklärung für das quälende Stechen. Ich würde in Hospital de Órbigo mit einer Sandale und einem Stiefel einmarschieren müssen.
Ich erinnere mich noch an den Anblick des Fliegenfischers, der unter einer der ältesten Brücken Spaniens, der Passo Honroso, hüfthoch im glitzernden Wasser des Órbigo-Flusses stand, während ich die zweihundert Meter Weg über die zwanzig Bögen der Brücke wie einen Lauf über glühende Kohlen empfand. Und selbst die Sandale musste ich mir herunterreißen, ehe ich die Hauptstraße betrat.
Der hospitalero im Albergue San Miguel hatte nicht auf meine Füße geschaut, denn er bat mich, die Schuhe auszuziehen. Auf einem
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