Ich bin da noch mal hin
steinernen Apsis gerichtet hielten. Ein riesiger Strauß weißer Lilien verbarg zum Teil den Altar, nicht aber die beiden Mönche, die in schwarzen Kutten zu beiden Seiten des Altarraums standen.
»Deus, in adiutorium meum intende. Domine, ad adiuvandum me festina«, sangen die Mönche auf Lateinisch: »O Gott, komm mir zur Hilfe. Herr, eile mir zu helfen«.
Eine Bitte, die bestens zu meiner körperlichen Verfassung passte.
»Kaum haben wir das Tagwerk beendet, fühlen wir uns sicher in Deinem Glanz, wir seufzen, einfach weil wir länger für Dich gelebt haben, das ist unser Dankeslied«, sangen sie und nahmen mir damit die Worte aus dem Mund. Dankbar setzte ich mich.
»Und Du, Herr … reinige uns von den Sünden, die wir tags begangen haben, und entflamme unsere Herzen während dieser Nacht auf ewig mit Barmherzigkeit.«
Die Hybris, die mich heute ergriffen hatte, war vergeben.
»Freuet euch im Herrn, o ihr Rechtschaffenen. Lob gebührt den Aufrechten«, sang der hochgewachsene Mönch zur Linken und tadelte mich damit auch, weil ich mich hingesetzt hatte.
»Lobet den Herren mit der Leier; auf zehnsaitiger Harfe spielet ihm auf«, antworteten der andere Mönch und wir, die Gemeinde, auf Lateinisch.
Ich fragte mich, wie wir die Harfe spielen sollten, während wir nach Santiago gingen, doch dann fiel mir ein, dass genau das jemand dieses Jahr tat. So eine Angeberei!
Die geschmackvoll ausgestattete Hostería El Refugio, die an der schmalen Calle Real gegenüber der Kirche liegt, war verglichen mit dem Abendgebet spärlich besucht. Ich ging durch den Barbereich in den comedor hinter einer Glastrennwand. Frische weiße Tischdecken lagen über den goldenen Tischüberzügen, und funkelnde Weingläser und Besteck warteten auf die Gäste. Eine Frau mit gelbem Kopftuch aß mit einem Teenager zu Abend, ein weiteres Paar in identischen blauen Westen mit Namensschriftzug bestellte gerade. Wegen ihrer Hemden, die der in der ehemaligen DDR üblichen Kugelstoßerkluft ähnelten, klassifizierte ich sie als Ostdeutsche. An meinem einsamen Posten am Rand des Speisesaals dachte ich zurück an das, was sich vor neun Jahren in eben dieser hostería zugetragen hatte:
»Möchtest du wirklich keinen Wein?«, frage ich Hans in einem erneuten Versuch, ihn von seinem Enthaltsamkeitsgelübde abzubringen.
»Nein, wirklich nicht«, lautet die Antwort.
»Wie wär’s dann mit einem Bier? Komm schon, wenn ich allein trinke, komme ich mir vor wie eine Alkoholikerin.«
»Nein, danke. Ich muss einen klaren Kopf behalten.«
»Wozu? Wir müssen doch nichts weiter tun als jeden Tag wandern.«
»Ich weiß, aber bis wir in Santiago ankommen, trinke ich nicht. Dort lade ich dich im parador zu Champagner ein, versprochen.«
»Vielleicht lehne ich ja ab!«
»Wie du willst. Ich bleibe jedenfalls bei meinem Entschluss.«
Am anderen Ende der Glaswand, die uns vom Speisesaal trennt, macht sich eine laute Pilgertruppe über mich lustig.
»Hans, schau nicht hin, aber die Leute da drüben am Tisch starren uns an. Ich glaube, es sind Deutsche.«
»Ja, stimmt«, erklärt er.
»Warum schauen sie ständig rüber? Was ist so lustig an uns?«
»Anne, du leidest an Verfolgungswahn. Du bildest dir das nur ein.«
»Nein, tue ich nicht. Schau, jetzt schon wieder! Was ist so ungewöhnlich an einer Frau in einem Fußballtrikot? Und du siehst meiner Meinung nach total normal aus – dich starren sie sicher nicht an.«
»Beachte sie einfach nicht.«
»Wie denn? Sie verderben mir den Abend. Warum stört dich das gar nicht? Ich geh mal schnell auf die Toilette.«
Starren sie mich wegen meiner Haare an? Sie sind sehr kurz, das weiß ich, aber kapieren sie nicht, wie praktisch das auf dem Camino ist? Als ich von der Toilette komme, zucke ich zusammen, als ich sehe, dass Hans die Bierdeckel der Deutschen signiert , die jetzt unseren Tisch umzingelt haben. Die glücklichen Autogrammjäger schütteln mir die Hand und danken mir überschwänglich, als ich mich wieder setze.
»Was wollten die denn?«, erkundige ich mich bei Hans.
»Ach, bloß eine Wegbeschreibung.«
»Eine Wegbeschreibung? Du kennst dich doch hier auch nicht besser aus als ich.«
»Ich meine für Deutschland. Sie wollten eine Wegbeschreibung in Deutschland.«
»Mach dich nicht lächerlich! Was kann man hier damit anfangen? Und wozu die Händeschüttelei?«
»Sie waren einfach nur höflich.«
»Ha, ha! Hans, hältst du mich für bescheuert? Ich habe von der Treppe aus zugesehen. Du hast
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