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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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gestiefelten Fuß hüpfte ich zur Rezeption und versuchte, an die angebotenen Kirschen zu kommen.
    »Mögen Sie keine Kirschen?«
    »Doch, natürlich.«
    »Hier, nehmen Sie!«, sagte er und schob die Schüssel über seinen Tisch in Richtung meines Sessels.
    Er stempelte den sello unter den von Villadangos, und ich humpelte hinauf in den ruhigen Schlafsaal mit den in trendigem Schottenkaro gemusterten Matratzen. Der Pilger auf dem sello trug einen Hut wie meinen, aber das war auch die einzige Ähnlichkeit. Mit wehendem Mantel und beiden Stiefeln an den Füßen überquerte er die Puente del Passo Honroso. Er ging nicht, sprang nicht, humpelte nicht, und keinesfalls hüpfte er einbeinig über die Brücke. Nein, er schwebte. Von León war er sicher nicht gekommen.
    Nach dem Abendessen, es gab Forelle, studierte ich im Dunkel meines Zimmers meine Fotos. Ein Tourist hatte am Morgen vor dem Hotel Parador San Marcos in León einen Schnappschuss von mir gemacht. Ich saß neben der Skulptur eines mittelalterlichen Pilgers, der zu müde schien, auch nur die Augen zu öffnen und das prächtige Hotel wahrzunehmen. Ich starrte seine Füße an. Sie waren bandagiert, die Sandalen lagen daneben. Morgen, so schwor ich mir, würde ich diese Warnung, die ich heute so leichtfertig in den Wind geschlagen hatte, beherzigen.

Montag, 5. Juli 2010
    Ich wandere 36,4 Kilometer von Hospital de Órbigo nach Rabanal del Camino
    Ich hatte keineswegs vor, heute bis Rabanal zu wandern. Schon am 22. Juni hatten Alison und Ian in Burgos ihre Freunde, die britischen hospitaleros im Refugio Gaucelmo in Rabanal, per SMS informiert, dass eine neue Freundin von ihnen, Anne, am Dienstag, 6. Juli eintreffen werde. Also freute ich mich, als ich mich morgens im Albergue San Miguel an den Frühstückstisch setzte, auf einen kurzen Spaziergang in das nur sechzehneinhalb Kilometer entfernte Astorga. Solche Strapazen wie gestern wollte ich mir außerdem ganz bestimmt nicht wieder zumuten.
    Der hospitalero schenkte mir um 6 Uhr 30 Kaffee ein, während ich in Ruhe eine Orange schälte.
    Plötzlich schulterte der einzige weitere Pilger am Tisch so eilig seinen Rucksack, als hätte er den letzten Aufruf zu seinem Heimflug vernommen.
    »Ich muss es bis morgen so nah wie möglich an den monte schaffen«, erklärte er, bevor er durch den Eingangsbereich entschwand.
    »Von was für einem monte redet er?«, fragte ich den hospitalero , der bereits das Geschirr des gestressten Pilgers abräumte.
    »Ich zeige es Ihnen. Kommen Sie.«
    Im Wintergarten stand ein Glastisch mit einer Zeichnung der verbleibenden Etappen des Camino ab Hospital de Órbigo. Gestern war ich direkt daran vorbeigegangen, um im Garten meine Füße zu versorgen. Egal – hätte ich gesehen, was der hospitalero mir jetzt zeigte, wäre ich vielleicht Sonntagnacht barfuß nach Rabanal gelaufen, anstatt zu schlafen. Abgesehen von einem kleinen Hügel sieben Kilometer von hier war das Höhenprofil bis Astorga ziemlich flach. Nach Astorga jedoch stieg die Linie über zweihundertachtzig Meter kontinuierlich an. Das war nicht weiter beunruhigend, da ich mir diese zwanzig Kilometer ja erst für morgen (den 6. Juli) vorgenommen hatte. Doch das Profil nach Rabanal verlief himmelwärts, und die Strecke zum Gipfel gleich nach dem Cruz de Ferro (Eisenkreuz) war viel kürzer. Das war der monte , zu dem der Frühstückspilger nun wie um sein Leben lief. Ich bekam einen Schreck und beschloss, ebenfalls so viel wie möglich von diesem monte heute schon hinter mich zu bringen. Ich musste ja nicht gleich bis Rabanal kommen, El Ganso würde reichen.
    Doch als ich an der Walnussplantage und dem Kohlfeld vorbei war und die Straße in das »kleine, windgepeitschte Dorf« El Ganso mit seiner »exzentrischen Cowboy-Bar im Zentrum« führte, war es erst drei Uhr. Ich bestellte an der Bar einen doppelten cortado und setzte mich im Hof unter einen großen Sonnenschirm, um mich mit mir selbst zu beraten. Meinem »Gelben Buch« zufolge war Rabanal verlockend nah – nur sieben Kilometer entfernt. Über dem Eintrag El Ganso oben auf der Seite standen immer noch Hans’ Name und seine alte Düsseldorfer Adresse. Er hatte sie 2001 hineingekritzelt und mich eingeladen, ihn irgendwann nach dem Camino zu besuchen. Hier hatten wir Lebensgeschichten ausgetauscht, während wir uns auf dem Weg nach Rabanal auf genau diesen grünen Plastikstühlen ausruhten. Zum ersten Mal seit unserem (vermeintlichen) ersten Blickkontakt in Logroño drei Wochen

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