Ich bin da noch mal hin
willkommenen Zuflucht vor der sengenden Sonne unterwegs, begrüßten mich Christina und einer ihrer Söhne. Als ich, ein riesiges bocadillo de tortilla in der Hand, vom Tresen kam, sprach mich eine Frau an, die ich noch nie gesehen hatte.
»Hallo, Anne! Ewelina lässt dich grüßen.«
»Ach, Ewelina! Grüß sie bitte auch. Wo ist sie?«
»Sie hat sich das Knie verletzt und ist heimgefahren. Aber irgendwann kommt sie mir ihrem Mann und probiert es noch einmal.«
»Ich habe mich schon gefragt, wo sie abgeblieben ist. Aber wie hast du mich erkannt?«
»Ewelina hat mir gesagt, dass du den Camino machst. Und wir in Deutschland kennen dich. Kann ich ein Foto mit dir haben?«
»Na klar.«
Während die Kellnerin mich zwischen der Pilgerin und ihrem Freund fotografierte, überlegte ich, ob die Deutschen wohl glauben, dass ich nie woanders bin als auf dem Camino. Ob Hans’ Leser die Vorstellung haben, dass ich immer noch durch Nordspanien wandere, dazu verdammt, auf alle Ewigkeit allein umherzuirren wie der Geist von Hamlets Vater in Gemäuern von Elsinore? Niemand wirkt je im Geringsten überrascht, mich zu treffen.
Die Steinhäuser von El Acebo thronen keck auf einem Grashügel unter dem steilen Heideland von Manjarín und über dem noch steileren Abhang hinunter nach Molinaseca. Fast auf den Tag genau vor neun Jahren sind Hans und ich am 7. Juli hier angekommen und zwei volle Tage geblieben. Wie haben wir das geschafft an einem Ort, der kaum hundert Meter lang ist? Dieses Café, in dem sich alle ankommenden Pilger erst einmal treffen, hatte es damals noch gar nicht gegeben. Warum also waren wir geblieben? An den üppigen rosa Petunien, die über einem Coca-Cola-Automaten von einem Balkon hängen, erkenne ich unser damaliges Quartier. Ich bestellte im Mesón El Acebo ein Mineralwasser und wartete darauf, dass sich die Erinnerungen an 2001 meldeten. Wir hatten uns fast achtundvierzig Stunden lang kaum von diesem Tisch wegbewegt und uns allein mit der Tour de France im Fernsehen prächtig unterhalten. Während wir darauf warteten, dass die von Astorga kommende Shelagh uns einholte, las ich dem mäßig interessierten Hans aus der spanischen Fußballzeitung vor …
»Tu so, als wärest du berühmt«, sage ich zu Hans.
»Gut, ich versuch es mal.«
»Ich stelle dir jetzt die Liste der Fragen, die Fußballer in dieser Zeitung bekommen. Bist du bereit?«
»Ich bin bereit«, erklärt er ernsthaft, als würde es um ein Quiz gehen.
»Name?«
»Hans-Peter Kerkeling.«
»Richtig! Geburtsort?«
»Recklinghausen.«
»Wo liegt das?«
»Im Ruhrgebiet.«
»Nächste Frage: Fußballmannschaft?«
»Schalke.«
»Taugen die was?«
»Nicht viel.«
»Macht nichts, vielleicht werden sie noch besser. Nächste Frage: Was für Klamotten trägst du am liebsten?«
»Was? Meine Lieblingsklamotten?«
»Ja, Klamotten. Die Sachen, die man in der richtigen Welt trägt, weißt du noch?«
»Jeans.«
»Jeans? Das ist alles? Jeans?«
»Ja, Jeans.«
»Lieblingsessen?«
»Italienisch.«
»Gut. Ich glaube, du weißt jetzt, worum es geht. Nächste Frage: Was ist dein größter Traum?«
»Einen Oskar zu bekommen«, erklärt er ohne jedes Zögern.
»Einen Oskar?«, spotte ich. »Aber das ist unmöglich. Wie willst du das anstellen? Du bist schließlich Deutscher.«
»Bester ausländischer Film.«
»Träum weiter, Junge«, denke ich.
Hans-Peter Kerkeling aus Recklinghausen im Ruhrgebiet kann sich glücklich schätzen, dass wir uns vor neun Jahren kennengelernt haben und nicht auf dem diesjährigen Camino. Mit einem Fan von Schalke 04 könnte ich mich heute nicht mehr anfreunden. Spielte für die nicht mal Manuel Neuer?
»Es sind vier Leguas von Rabanal nach El Acerbo, ein Dorf, das am Rabanalpass liegt. Von El Acebo bis in das Dorf Riego de Ambrós ist es eine Legua, und eine Legua von Riego de Ambrós nach Molinaseca«, schrieb der deutsche Pilger Arnold von Harff im 15. Jahrhundert. Doch nach den vier Wegstunden heute Morgen erschienen mir die beiden Wegstunden am Nachmittag keineswegs gleich lang. Durch das wogende Gras und den Ginster den Westhang des Monte Irago hinunter liefich, als sei ich gerade erst losgegangen. Im Schatten eines Kirschbaums trank ich einen Schluck warmes Wasser und lauschte dem Summen der Insekten in der warmen Luft. Ich fühlte mich fit für die verbleibende Wegstunde bis Molinaseca.
Lozano verspricht für diese Wegstunde Sonnenröschen und Pappeln in den »lieblichen« Tälern des Arroyo Prado Mangas und
Weitere Kostenlose Bücher