Ich bin dann mal alt
selbst einen Feiertag. Der Mensch braucht einen Feiertag, sonst wird er zum Viech. Sogar die Viecher brauchen einen Feiertag zum Ausruhen, sonst gehen sie elend zu Grunde.
Lindenwirtin Josefine Wagner
Beim Zusammenleben mit anderen Menschen sollten wir darauf achten, dass es einen gemeinsamen Ruhetag gibt: den Sonntag. Sechs Tage Arbeit, dann ein Ruhetag – das ist auch der Rhythmus, den wir aus der biblischen Schöpfungsgeschichte kennen. Er findet sich in fast allen Religionen, weil er offenbar als Ur-Rhythmus dem Menschen innewohnt. Nach sechs Arbeitstagen braucht der Mensch den siebten Tag zur Ruhe, zur Erholung, zur Kommunikation, aber vor allem braucht er ihn, um seine eigene Spiritualität kreativ zu leben und zu entwickeln. In der Sowjetunion unter Stalin wurde der Zehn-Tage-Rhythmus eingeführt, um die Volkswirtschaft effizienter zu machen. Die Menschen haben den neuen Rhythmus eine Zeitlang einigermaßen ausgehalten. Die Pferde dagegen nicht. Sie wurden krank, und bevor die Symptome auch bei den Menschen auftauchten, stellte man den bewährten Siebener-Rhythmus wieder her.
Auch alte Menschen sollten den Sonntag als eine zweckfreie, geschenkte Zeit betrachten: Du unterliegst keinen Zwängen, niemand schreibt dir etwas vor – du allein teilst die Stunden ein, in denen du mit deiner Familie zusammen bist, mit Freunden oder mit dir selbst. Dieser freie Tag ist ein großes Geschenk. Es wäre
schade, die Zeit zu verschlafen, zu vertrödeln oder mit Aktivitäten vollzustopfen, die dich wieder zum Sklaven machen.
Heilsamer Sonntag
Es ist ein regelmäßig wiederkehrendes Ritual: die Forderung des Handels, dass der arbeitsfreie Sonntag als unzeitgemäßes Relikt aus der Vergangenheit endlich abgeschafft gehört – und die darauf folgenden Proteste von Kirchen und Gewerkschaften.
In Deutschland sind die Sonn- und Feiertage zwar im Grundgesetz ausdrücklich als »Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erbauung« geschützt, aber in der Praxis wird dieses Gebot von immer mehr Ausnahmegenehmigungen durchlöchert – warum also das Arbeitsverbot am Sonntag nicht endgültig streichen? Doch der Sonntag ist kein Instrument zur Ankurbelung der Konjunktur. Manche Marketing-Experten wollen uns voller Zynismus weismachen, der Mensch sei »born to shop«, also müsse er kaufen, kaufen, kaufen, auch sonntags.
Das Gegenteil ist der Fall: Der Sonntag hat für den Menschen eine völlig andere Bedeutung als ein normaler Arbeitstag unter der Woche. Er dient der Ruhe und der Erholung und ist ein Fixpunkt im Lebensrhythmus der Menschen, die an diesem Tag den Alltag und die Sorgen hinter sich lassen können. Endlich ist Zeit für die Familie und für Gespräche, für Freunde, für das Hobby, für den Verein.
Der Sonntag ist keine Erfindung der christlichen Kirchen, sondern entspricht einer tiefen menschlichen Sehnsucht, einem Ur-Rhythmus nach Ruhe für den Körper und die Seele.
Kein Wunder, dass es in fast allen Religionen nach sechs Tagen des Schaffens einen siebten Tag gibt, an dem die Arbeit ruht. So ist der Sonntag – jenseits von Geld, Konsum und Kommerz – Teil der menschlichen Sozialkultur, die man nicht ökonomischen Gesetzen unterwerfen soll.
In unserer hyperaktiven Gesellschaft, das weisen Studien nach, wird der gestresste Mensch krank, wenn er die wichtigsten Rhythmen, die sein Leben bestimmen, missachtet: das rechte Maß zwischen Spannung und Entspannung, zwischen Ruhe und Bewegung, zwischen Wachsein und Schlaf, zwischen Arbeit und Pause. Auch der Essensrhythmus, das bewusste Leben im Einklang mit den Jahreszeiten und vor allem der Sonntag als Tag der Ruhe gehören dazu. Er gilt als einer der zentralen Rhythmen, die dem Menschen an Leib und Seele guttun und seine Lebenskraft stärken. Deshalb sollten wir – schon im Interesse der eigenen Gesundheit – in unserer viel zu hektischen Welt alles tun, um schädliche Eingriffe in unsere Lebensrhythmen zu verhindern.
So gesehen geht der Schutz des Sonntags in seiner Bedeutung weit über Arbeitsverbote und Ladenschlusszeiten hinaus. Im Zusammenspiel mit den anderen wichtigen Rhythmen des Lebens ist der freie Sonntag ein »heilsamer« Beitrag, um den Menschen in guter Balance zu halten und ihn vor krank machendem Stress zu bewahren.
Leben im Rhythmus der Jahreszeiten
Es gibt keine schlechte Jahreszeit. Jede kann schön sein, jede kann grauslich sein. Es gibt schöne Winter und fürchterliche, es gibt im Sommer schöne Tage, aber auch ein Sauwetter. Das gehört
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