Ich bin dann mal alt
zum Leben. Die Jahreszeiten sind notwendig, schwierig sind nur die Wechsel. Du musst dich halt dauernd an etwas Neues gewöhnen: im Frühjahr an den Sommer, im Sommer an den Herbst, im Herbst an den Winter und dann wieder ans Frühjahr. Aber wenn du weißt, dass es immer wieder weitergeht, dann ist es auch nicht so schlimm.
Lindenwirtin Josefine Wagner
Es hat den Menschen immer gutgetan, wenn sie im Rhythmus der Natur und der Jahreszeiten lebten. Frühling, Sommer, Herbst und Winter geben dem Jahr, dem Leben und jedem Menschen einen eigenen Rhythmus. In unserer überdrehten Welt nehmen viele diesen Rhythmus kaum noch wahr. Die moderne Lebensweise führt dazu, dass sich die Menschen immer mehr vom Rhythmus der Natur entfernen. Bestes Beispiel dafür ist das Essen: Früher gab es Erdbeeren im Sommer, wenn sie reif waren, heute bieten sie die Supermärkte zu allen Jahreszeiten an, sogar im Winter. Genauso ist es mit Äpfeln und Salat, mit Johannisbeeren und Pilzen, mit Gurken und Radieschen: Unabhängig von der Jahreszeit und vom Rhythmus der heimischen Ernten ist alles zu allen Zeiten verfügbar.
Leider geht uns damit das Gefühl für die Jahreszeiten verloren. Wir wissen nicht mehr, was sie uns symbolisch bedeuten. Im Frühling erlebt der Mensch die Jugend, Aufbruch und Entwicklung. Der Sommer macht uns den Prozess des Wachsens bewusst, der Herbst symbolisiert das Reifwerden und die Ernte, der Winter steht für den Rückzug, die Ruhe und auch für den
Tod. Diese vier Jahreszeiten lassen sich auch den eigenen Lebensphasen zuordnen. Wer die Jahreszeiten bewusst erlebt, hat die Chance, das eigene Leben intensiver zu spüren.
Auch ein alter Mensch kann den Frühling als Wachstum und Aufbruch erfahren, wenn er diese Jahreszeit sensibel wahrnimmt. Wenn wir die Jahreszeiten bewusst erleben, nehmen wir an einer inneren und äußeren Entwicklung teil und werden Teil eines Lebensprinzips, das uns prägt. Dann klingt das erste Zwitschern der Vögel nicht nur angenehm fürs Ohr, sondern es ist zugleich eine Botschaft, dass im Jahreskreis nach dem Winter der neue Aufbruch beginnt. Und das Holzhacken im späten Herbst wird nicht als eine lästige, schweißtreibende Pflichtarbeit empfunden, sondern kann uns den Wechsel zum kalten Winter symbolisieren.
Wandlung erfahren
Es tut uns gut, wenn wir bewusst die Wachstums-, Reifungs-und auch Alterungsprozesse wahrnehmen. Wer mit seinen Sinnen am Wechsel der Jahreszeiten teilnimmt, weiß, dass nach jedem Winter ein neuer Frühling kommt. Er erlebt das Sterben in der Natur, aber er erkennt darin gleichzeitig den Keim einer neuen Geburt. Die Sonne kehrt an ihrem tiefsten Punkt um und steigt wieder auf. Wenn der Mensch sich mit diesem Rhythmus der Natur in Einklang bringen kann, wird er auch sein eigenes Leben besser verstehen.
Ein Baum, den du übers ganze Jahr beobachtest, kann dir den Zauber der Schöpfung bewusst machen: Wie er im Winter kahl dasteht, wie er dann im Frühling seine Knospen austreibt und plötzlich »explodiert«, wie im Sommer die Früchte heranwachsen, reif werden und im Herbst abfallen, wie der Baum sein Laub
verliert, sich zurückzieht und ausruht, bis er im nächsten Frühjahr wieder erwacht. Wer diesen Baum über die Jahreszeiten hinweg betrachtet, spürt auch sein eigenes Leben – das Wachsen, die Entfaltung, die Ernte, die Ruhe.
All das deutet darauf hin, dass es ein großes Prinzip des Lebens gibt, einen schöpferischen, göttlichen Plan. Die Geburt, das Heranwachsen, Altwerden, Sterben und die Auferstehung in anderer Form – sich in diesen kosmischen Rhythmus einzuschwingen, gibt dem Menschen Kraft und Stabilität im Leben.
Nachfrost im August
Emils ganzer Stolz ist sein kleiner Garten hinterm Haus. In diesem Stückchen Natur hegt und pflegt er alles wie in einer Puppenstube. Sein Schmuckstück ist das Winterbeet, ein bescheidenes Mini-Treibhaus, sechs mal zwei Meter breit, gerade mal knöchelhoch, das er mit Glas abgedeckt hatte. Darin wachsen seine Schlangengurken. Auf einer Strichliste überwacht der ehrgeizige Hobbygärtner seine Zuchterfolge.
An einem Abend im Spätsommer saß der Emil wieder einmal im Wirtshaus. Schön war es am Stammtisch, das Bier schmeckte und zwischendurch spendierte ein Gast auch mal eine Runde Schnaps. Gegen Mitternacht hatte der Emil, wie seine Stammtischbrüder zu sagen pflegten, »tüchtig einen in der Krone hängen«.
Zum Glück grenzt das Wirtshaus hinten hinaus direkt an Emils Gurken-Paradies – und so entschied
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