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Ich bin dann mal alt

Ich bin dann mal alt

Titel: Ich bin dann mal alt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Pausch , Gert Boehm
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Rhythmus im Leben kann nur entstehen, wenn der Mensch in Beziehungen lebt: mit sich selbst und mit anderen, mit der Natur und mit der Schöpfung. Das Leben im Alter ist oft schwierig, weil die Menschen zunehmend beziehungslos werden – ein Phänomen, das typisch ist für unsere »moderne« Gesellschaft, in der die Menschen trotz der überbordenden Kommunikationsmittel regelrecht vereinsamen. Dieser Prozess wirkt sich im Alter besonders schlimm aus, nimmt er doch seinen Anfang schon viel früher, gewissermaßen in den besten Jahren. Ob Jung oder Alt: Aus Meinungsumfragen ist bekannt, dass sich zwar alle nach guten Freunden sehnen, aber wenig dafür tun. Der Grund für dieses paradoxe Verhalten liegt wohl an der materiellen Überbetonung unseres Lebens. Denn Beziehungen kosten Zeit, Geld und Nerven, sie bringen Konflikte und müssen ständig neu »beackert« werden, weil sie sonst verdorren.
    Die meisten verstehen unter Beziehungen den schnellen Kontakt zu Leuten, denen man auf Events und Partys – Bussi, Bussi – kurz die Hand schüttelt, mit ihnen ein paar belanglose Sätze wechselt und dann schon zum Nächsten weitereilt. Auf diese Art können Freundschaften nicht entstehen. Richtig bewusst wird manch einem das aber erst im Alter, wenn er ohne echte Freunde dasteht. Oft kommt dann die Erkenntnis zu spät, dass gute Beziehungen – im wahrsten Sinn des Wortes – unbezahlbar sind. Verbindungen, die nur auf einer materiellen Grundlage stehen – Versicherungen, Hausbesitz, Vermögen –, reichen den meisten Menschen im Alter nicht aus, um ein erfülltes Leben zu führen.
    Eine überbetonte materialistische Einstellung ist der Tod für jede Beziehung, auch zu sich selbst. Viele Lösungsmodelle, die
heute vom Staat zur Bewältigung der zunehmenden Altersprobleme angeboten werden, sind zwar gut gemeint, aber ziemlich kalt und bedrückend, weil sie nur die materielle Versorgung im Auge haben. Es fehlen wirksame Konzepte, die älteren Männern und Frauen helfen, Beziehungen aufzubauen – mit der Folge, dass sie häufig isoliert leben. Manche alte Menschen verlieren sogar die Fähigkeit, Kontakte zu schließen, in Gemeinschaften hineinzugehen, und fangen an, ihren Körper und ihre Seele allmählich zu vernachlässigen.
    Beziehungen gelingen nur, wenn wir in einem ausgewogenen Rhythmus leben. Sobald wir in eine echte Beziehung eintreten, wird unsere Seele berührt. Dabei spielt es weniger eine Rolle, ob diese Beziehung zu einem Menschen besteht oder zu einem Tier, zu einem Stein, einem Baum, einem Schmetterling oder zum Sternenhimmel. Eine Beziehung ist immer der Anfang der Transzendenz: Du überschreitest deine eigenen Grenzen. Menschen sehnen sich danach, mit anderen Menschen, Dingen, Erfahrungen oder mit Gott in Beziehung zu treten. Wir spüren den Seelenrhythmus in dem Augenblick, wenn wir mit anderen »Seelen« eine Beziehung aufnehmen. Dann berührt das eigene Innerste die Seele des anderen, es beginnt eine gemeinsame Schwingung und so kann Einklang entstehen. Im Alleingang lässt sich der Seelenrhythmus nur schwer erfahren.
    Wer im Alter allein lebt, kann natürlich manchen Schwierigkeiten und Konflikten ausweichen, die sich aus der Gemeinschaft mit einem Partner, mit Familienangehörigen oder Freunden zwangsläufig ergeben. Wenn ein Mensch sich entschließt, sein Leben mit einem oder mehreren Menschen zu teilen, muss er bereit sein, sich einzuschränken, sich mit den anderen auseinanderzusetzen, Rücksicht zu nehmen. In einer Beziehung können wir unsere Schwächen nicht verstecken und müssen die Unzulänglichkeiten des anderen ertragen. Das geht nicht ohne
Kritik, Streit und Verletzungen. Dafür werden wir beschenkt mit der Freude, die der andere bereitet. Um Glück und innere Zufriedenheit zu erleben, braucht der Mensch Beziehungen – zu Menschen, zu Ideen, zu Gegenständen. Sich abzukapseln, ist nicht gut für die Seele.
    Beziehungen leben davon, dass geteilt wird, sonst droht die Erstarrung. Wer sein Leibgericht immer alleine isst, wird die Freude nicht erleben, die entsteht, wenn er das Essen mit anderen teilt und gemeinsam genießt. Das Gleiche gilt für einen gemeinsamen Spaziergang, wenn wir gemeinsam Musik hören oder ein Bild betrachten. Viele Menschen in der westlichen Welt haben vergessen, was für ein hoher Wert es ist, miteinander zu leben und zu teilen, statt nur das eigene Ich zu pflegen.
    Unzählige Beziehungen zerbrechen, weil diese Freude an der Gemeinsamkeit verloren gegangen ist.

    Konflikt

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