Ich bin dann mal alt
wird nach der Grundregel »ora et labora« in der Gemeinschaft mit seinen Brüdern alt und beteiligt sich im für ihn rechten Maß am klösterlichen Leben. Und wenn ein Mönch nicht mehr in der Lage ist, zu arbeiten – beten kann er immer. So kommt den alten Mönchen die wichtige Aufgabe zu, dass sie mit ihren Gebeten die »spirituelle Festung« stärken, also das geistliche Leben der Gemeinschaft fördern. In der gegenwärtigen Gesellschaft wird diese Form des Alterns völlig ignoriert, dabei könnten viele alte Menschen mit ihren Erfahrungen wichtige spirituelle Beiträge für andere leisten. Doch diese geistig-religiöse Dimension wird unterschätzt, meistens belächelt und für überflüssig gehalten. Höchstens bei Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen taucht die Bedeutung der Spiritualität wieder auf: Die beteiligten Menschen spüren eine innere Berührung, die sonst im Alltagsleben kaum noch wahrgenommen wird.
Wie kann in der Gegenwart der geistige Beitrag aussehen, den ältere Menschen sich selbst, aber auch der Gesellschaft geben
können? Eine Antwort darauf ist schwierig. Auf jeden Fall müsste eine Rückbesinnung auf spirituelle Werte stattfinden. Doch das scheint heute kaum möglich zu sein, weil das Leben vieler Menschen einseitig in die andere, materielle Richtung gelaufen ist. Die festgefahrenen Grundhaltungen lassen sich nicht von heute auf morgen ändern – weder bei den Alten noch bei der nachrückenden Generation. In beiden Lagern scheinen die Zugänge zur Umkehr, zur Spiritualität verstopft zu sein. Dabei ist die Sehnsucht der Menschen nach Beziehungen vorhanden. Und es gibt viele Anzeichen, die Hoffnung machen. Wir versuchen in den folgenden Kapiteln, Wege aufzuzeigen, die aus der Resignation herausführen und vor allem die alten Menschen wieder zum Aufbau neuer Beziehungen ermutigen wollen.
Überflüssiger Streit
Zu Antons 50. Geburtstag war die ganze Verwandtschaft eingeladen. Die extra lange Tafel im Wohnzimmer reichte für die Stühle kaum aus und der Tisch war reich gedeckt. Es gab Kaffee und Streuselkuchen, Erdbeertorte mit Sahne, Nusshörnchen, zwei Dutzend Wurstsemmeln – dazu mehrere Karaffen mit Punsch, ein Fass Bier und zwei Flaschen Kräuterlikör. Die Männer tranken mit Begeisterung und hatten bereits am frühen Abend rote Gesichter. Sie ließen Anton jede halbe Stunde aufs Neue hochleben und sangen ständig lauthals »Happy Birthday«, bis schließlich Antons Frau Veronika einschritt. »Hört auf mit dem Quatsch«, wies sie die Sänger energisch in ihre Schranken.
Tante Hermine wollte von Anton wissen, was denn sein größter Geburtstagswunsch sei. Anton geriet gleich ins Schwärmen:
»Ich hätte gern eine schöne Kutsche mit zwei Pferden, damit wir sonntags immer in die Natur hinausfahren können. « Der Gedanke an die Kutsche und der Alkohol, den er schon intus hatte, beflügelten seine Fantasie derart, dass er schon klare Vorstellungen von der Sitzordnung in der Kutsche hatte: »Ich sitze vorne auf dem Kutschbock und übernehme die Zügel, neben mir unsere Tochter Carmen und hinten sitzen meine Frau, unser Sohn Manuel und die Oma.« Leider platzte Antons idyllische Vorstellung von einer Sekunde auf die andere wie eine Seifenblase, denn das elfjährige Töchterlein zerstörte den Lieblingswunsch ihres Vaters jäh. »Ich will nicht neben dem Papa sitzen«, quengelte Carmen, »sondern hinten bei der Oma.«
Der Anton wurde wütend: »Nix da!«, brüllte er, »du sitzt neben mir auf dem Kutschbock – und basta!«
Das Mädchen begann zu weinen, und plötzlich war eine heftige Diskussion in Gang, ob die kleine Carmen in der Kutsche vorne sitzen müsse oder ob sie nach hinten zur Großmutter dürfe. Der Streit wurde lauter und immer verbissener. Der Anton schrie mit hochrotem Kopf, dass in seinem Haus nur das gemacht werde, was er sagt – und dass die Tochter gefälligst zu parieren habe, sonst werde er ungemütlich.
Mutter Veronika nahm das schluchzende Kind in die Arme und tröstete es. »Sei doch nicht so hartherzig«, schimpfte sie ihren Mann, »und lass das arme Mädchen neben der Oma sitzen.« Aber jetzt war Anton nicht mehr zu bremsen. »Schluss jetzt«, brüllte er, »die Carmen setzt sich neben mich!«
Der Streit im Wohnzimmer wurde immer lauter. »Wir stimmen jetzt über die Sitzordnung in der Kutsche ab«, schlug der Onkel Heiner vor. Daraufhin hoben sämtliche Männer die Hand für den Vater und die Frauen waren einstimmig für Carmen,
die am Ende mit 13 zu 9
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