Ich bin dann mal offline
Menschen weltweit auch. »Durch eine sehr schmerzhafte Trennung kam es aber zu einer depressiven Situation, und in der Pseudokommunikation der Spielwelt fühlte sie sich geborgen«, erklärt der Psychiater und Psychotherapeut Mundle. »Auf einmal spielte sie iwölf Stunden am Tag. Im Beruf war sie nicht mehr leistungsfähig, und sie verlor fast komplett den Bezug zu Familie und Freunden.«
Unser eigenes Google
Wer sich in die Oberbergkliniken begibt -wie diese Lehrerin, nachdem sie sich ihre Spielsucht eingestanden hatte -, muss erst mal einen harten digitalen Entzug meistem. In den ansonsten komfortablen Zimmern gibt es kein Internet. Nur ein einziges öffentliches Terminal steht zur Verfügung. Handys und mobile Internetgeräte müssen abgegeben werden. »Das schafft fast niemand ohne Probleme«, berichtet Mundle von, den Neuankömmlingen. »Da hört man dann: Ich muss aber noch das und das und das. Aber nach einer Weile merken sie, dass es auch ganz gut ohne geht. Ich sage immer: Je-, der hat sein eigenes, inneres Web, sein eigenes Google, seine eigenen inneren Bilder. Im Rahmen unserer intensiven Psychotherapie leiten wir die Leute an, wieder die eigenen Potenziale zu entdecken, um sich so von der Welt des Internet unabhängig zu machen. Wie das vor sich geht, will ich wissen. Gemeinsames Briefeschreiben per Hand? Stundenlanges Benutzen von Telefonen mit langsam ratternder Wählscheibe, ohne verrückt zu werden? »Es ist ein bisschen wie mit dem Fitnessboom in den Siebzigern. Da mussten wir Menschen auch erst lernen, dass wir unseren Körper in Form halten müssen, wenn wir den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen. Unsere geistig-seelische Potenziale können wir mit regelmäßigen Übungen der Stille und einer aktiven Innenschau entfalten. Wer möchte, kann auch Yoga machen oder autogenes Training -die Erfahrung der Stille in uns ermöglicht, die eigene Präsenz und Lebendigkeit zu entdecken und eben nicht von den Bildern des Internet abhängig zu sein.«
Als ich von meinem Selbstversuch erzähle, ist der Psychotherapeut begeistert: »Nur derjenige hat einen gesunden Umgang mit den neuen Technologien, der es auch für eine Weile lassen kann. Ihren Selbstversuch haben die Menschen vor 20 Jahren automatisch gemacht -wenn auch in verkürzter Form: Wer in den Urlaub fuhr, war nicht zu erreichen und wirklich abgekoppelt von der Jobhetze zuhause. Im Alltag ist das natürlich schwieriger. Ich weiß von mir selbst, wie schnell man in Abhängigkeiten geraten kann«, verrät er mit verschwörerischer Stimme. »Als ich zum ersten Mal ein Blackberry hatte und am Wochenende Mciils ankamen, habe ich die sofort beantwortet. Erst nach und nach habe ich mich wieder auf meine innere Autonomie besonnen und gemerkt, dass es an mir selbst liegt, wie frei ich bin.«
Zum Abschied gibt, er mir ein Zitat von Kierkegaard mit auf den Weg: »Wenn die Stille einkehrt, passiert am meisten.« Normalerweise würde ich das Zitat zur Überprüfung googeln. So muss ich Professor Mundle einfach glauben. Tag 10 Die Berrys sind los
Zuhause ist es mir zu still, deshalb gehe ich in ein Cafe in meiner Straße, in dem die Touristen über Stadtpläne und Reiseführer gebeugt durcheinander plappern. Beim Kaffee lese ich in einern Buch der Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel eine interessante Passage über das Reisen in asiatischen oder arabischen Ländern, die ich in ähnlicher Form auch schon erlebt habe: In dem Augen-blick, in dem wir uns in einern Land bewegen, dessen Schriftzeichen wir nicht mehr verstehen, entsteht zuerst ein Gefühl der Verlorenheit. Denn wir können nicht mal mehr ansatzweise erahnen, was die Schilder, Wegweiser, Werbetafeln bedeuten sollen. Was »Policia« bedeutet, erahnen wir noch, selbst wenn wir kein Portugiesisch sprechen. Bei arabischen oder asiatischen Schriftzeichen jedoch, sofern sie uns tatsächlich fremd sind, kehrt durch das völlige Nichtverstehen und die damit ausbleibende Kommunikation nach einer ersten Verunsicherung überraschend Ruhe und Entspannung ein. Statt uns durch ständiges Lesen ablenken zu lassen, können wir uns plötzlich viel besser auf die Umgebung, die Natur, die Menschen um uns herum und uns selbst konzentrieren. Erst wenn wir mitten in einer Stadt voller kryptischer Schilder schnell den Weg zum Bahnhof finden wollen, wird es wieder schwierig. Sternstunden der Bedeutungslosigkeit
Nach dem Mittagessen bin ich zu einer Besprechung in einer Werbeagentur verabredet, für die ich ein paar
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