Ich bin dann mal offline
Texte schreiben soll. Meine Gesprächspartner verspäten sich um eine halbe Stunde -da ich nicht erreichbar bin, schaffen sie es jedoch auch nicht mehr, mir rechtzeitig Bescheid zu sagen, und ich muss warten. Selbst schuld, denke ich mir. Du hast es so gewollt. In der Besprechung selbst bin ich dafür angenehm konzentriert. Kein iPhone, das mich ablenkt. Kein Notebook, das aufgeklappt vor mir steht und ständig neue Mails anzeigt-wie bei meinem Gegenüber. Kein Anruf (»Tschuldigung, das muss ich kurz annehmen«), der mich aus dem Gespräch reißt. Ich genieße das einerseits
-andec rerseits muss ich feststellen, dass ich mich ohne diese Insignien des Gefragtseins auch gleich viel unbedeutender fühle. Denn wer angerufen oder angemailt wird, so meine Logik, ist gefragt. Wer gefragt ist, muss seinen Job gut machen, also etwas wert sein. Das ist natürlich zu kurz gedacht, denn jemand, der Pfusch abliefert oder ständig unklare Anweisungen gibt, wird viel öfter angerufen. Vorn übereifrigen Chef aus der 50er-Jahre-Filmkomödie, der seiner Sekretärin minutiös mitteilt, auf welchem Apparat er die nächste halbe Stunde erreichbar sein wird, über die ersten Brotlaib-großen Mobiltelefone in den 80ern bis zum Blackberry: Ständige Erreichbarkeit und ihre jeweils neuen technischen Darreichungsformen sind stets zuerst ein Privileg der Chefetage. Langsam sickern sie dann nach unten durch,-schon beim iPhone dauerte der »Werteverfall« vorn begehrten Gadget für übermoderne Info-Manager zum allgegenwärtigen Standardtelefon für die ganze Familie nur noch weniger als ein Jahr. Dennoch, ein Teil des Nimbus bleibt: Wer von seiner Firma ein iPhone oder ein Blackberry gestellt bekommt, fühlt sich geschmeichelt. Status eben. Ein in Plastik gegossener Beweis der eigenen Unersetzbarkeit, die insgesamt immer weiter schwindet. Denn in der heutigen globalisierten und immer effizienteren Welt ist natürlich so gut wie jeder über kurz oder lang ersetzbar -aber ein ständiger Nachrichtenstrom direkt in unsere Hosentasche lässt uns das zumindest zeitweilig vergessen. Vielleicht setzen wir uns ihm deshalb so bereitwillig aus und empfinden es nicht als Fußfes-sel, wenn wir zusammen mit einer kleinen Beförderung ein Firmen-Blackberry bekommen -sondern als Vertrauensbeweis und Zeugnis unserer Bedeutsamkeit für den Lauf der Dinge. Erfolgsrezept der Brombeere
Begonnen hat der Siegeszug der »Brombeere« bereits 1999, als sie der damals 38-jährige Kanadier Mike Lazaridis angeblich im Schlaf ersann und mit seiner Firma Research In Motion (RIM) zu produzieren begann. Anfangs war niemand so recht begeistert, aber als der Informatik-Abbrecher Lazaridis anfing, die handlichen Geräte an befreundete Manager zu· verschenken und die kleinen Apparate nicht nur Mails abrufen, sondern auch telefonieren konnten, begann die Berry-Welle Fahrt aufzunehmen. Inzwischen hat RIM über 50 Millionen Geräte verkauft, im Oktober 2009 gab es weltweit 40 Millionen Blackberry-Nutzer, Tendenz steigend. Das 1984 gegründete Unternehmen mit über 12000 Mitarbeitern wurde 2009 vorn Wirtschaftsmagazin Fortune zum am schnellsten wachsenden Unternehmen der Welt gekürt - noch vor der Konkurrenzfirma Apple. 84 Prozent Umsatzwachstum von rund sechs auf rund 11 Milliarden US-Dollar hatte der kanadische Blackberry-Hersteller geschafft -und das trotz Wirtschaftskrise.
»Das Blackberry löst das Paradoxon des modernen Lebens«, verspricht sein Erfinder, RIM-Chef Mike Lazaridis. »Und bevor man nicht eines benutzt hat, kapiert man es einfach nicht. Man ist verbunden -sowohl mit der Krise als auch mit der Gelegenheit.« Weitaus häufiger als die eine Mail, die unser Leben verändert, kommt jedoch die schiere Masse an Kleinkram reingeflattert: Eine Studie, für die 2007 im Auftrag der Herstellerfirma RIM 1335 Blackberry-Nutzer befragt wurden, ergab, dass durch das Gerät im Durchschnitt pro Person 60 Minuten »downtime« -also ungenutzte Zeit-in produktive umgewandelt wurde. Ein typischer Nutzer, so die Studie weiter, bearbeite rund 2500 »zeitkritische« Mails pro Jahr mit dem Gerät -ohne dass der Begriff »zeitkritisch« jedoch genauer definiert worden wäre.
Auch ich besaß für eine kurze Weile ein Blackberry. Die Gerüchte über »BerryBlisters« genannte Blasen oder den »Blackberry-Daumen«, den man bei zu intensiver Benutzung bekommen sollte, also sozusagen der Tennisarm der Kommunikationsjunkies, kann ich nicht bestätigen. Auch benutzte ich das Gerät nicht wie
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