Ich bin dann mal offline
sind. Kein Zweifel: Wenn zu viel Kommunikation von uns erwartet wird, wenn wir keinen einzigen Moment der Ruhe und Selbstvergewisserung mehr finden, kann uns das unter Stress setzen und schwer zu schaffen machen. Aber wenn andersherum die Verbindungen zu anderen Menschen zu wenig werden, wenn gar kein Austausch mehr stattfindet, dann macht uns das in den allermeisten Fällen auf lange Sicht ebenso unglücklich.
Einer der traurigsten Sätze, die ich in meinem ganzen Leben gehört habe, war der eines Arbeitskollegen, dessen Einsamkeit ich ahnte -aber erst in vollem Umfang ermessen konnte, als er einmal sagte:
»Die Wochenenden sind so endlos lang.«
Tag 12 Überall Verräter
Hätte ich so nun auch nicht unbedingt gedacht: Aber mir fehlt sogar das Onlineshopping. Unter den Angeboten meiner Lieblingsverkäufer bei eBay meine Lieblingsjeans zu einem fairen Preis zu finden
-noch dazu in der richtigen Größe. Oder die Liste »Empfehlungen für Sie« bei Amazon durchzuklicken, um festzustellen, dass der Computer-Algorithmus, der sie aus meinen bisherigen Einkäufen automatisch zusammenstellt, manchmal sehr falsch -aber überraschend oft auch sehr richtig liegt. Kleine Freuden, die einen verregneten Arbeitstag auflockern können. Wie es sich für einen guten Offliner gehört, gehe ich stattdessen zum ersten Mal in meinem Leben zu Fuß zu dem Berliner Ladengeschäft von Manufactum im vornehmen Charlottenburg. Doch selbst dort, im mehrstöckigen Hort des gutbürgerlichen Edelhandwerks, wo das Papier noch handgeschöpft ist und das Geschirrtuch noch
»dicht und fest in Gerstenkornbindung jacquardgewebt«, hat die Digitalisierung Einzug gehalten: Ich weiß nicht, ob ich es angesichts der Flurschränkchen-Designer, die dieses »zugleich als Ladestation für elektronische Geräte konzipiert« haben, mit Brüdern im Geiste oder mit Verrätern zu tun habe
-und kaufe, um ein analoges Zeichen zu setzen, einen schönen, wenngleich teuren Schreibblock und mal wieder einen »Parker Jotter«, den besten Kugelschreiber der Welt. Lediglich zu dem seit 60 Jahren »aus echtem Gummi arabicum« hergestellten Gummierkleber in der Glasflasche kann ich mich nicht so recht durchringen.
Tag 13 Per SMS auf die Gästeliste
Jessica kommt für das Wochenende wieder nach Berlin und will wissen, was auf unserem Programm steht. Gute Frage. Denn die Möglichkeiten, die sich an so einem Wochenende bieten, kommen seit einiger Zeit auch immer häufiger per Internet zu mir. Ob es die E-Mail-Newsletter von Clubs oder anderen Veranstaltern sind oder Facebook-Einladungen zu »Events« von Freunden. Ob es Ausgehtipps via Twitter sind oder Konzertempfehlungen der Musikplattform last.fm, die mich automatisch darauf aufmerksam macht, wenn ein Künstler, dessen Musik ich oft höre, ein Konzert in meiner Stadt gibt. Nicht zu vergessen die SMS-Einladungen eines DJs, der regelmäßig mitteilt: »Lege im Dings auf, meld' dich wegen Gästeliste«, und dem ich anfangs noch jedes Mal verlegen zurückschrieb, dass ich leider schon verabredet sei bis ich merkte, dass er diese Einladungen jede Woche an über 1 00
Leute verschickte.
Wo geht's hier »weiter«?
Aus all diesen Online-Quellen entsteht für gewöhnlich die bunte Mischung an Angeboten und Möglichkeiten, aus der am Ende ermittelt wird, wie wir das Wochenende verbringen. Ohne das Internet jedoch: Totenstille. Selbst Einladungen zu Geburtstagsessen oder gemütlichen Filmabenden im Freundeskreis kommen inzwischen per E-Mail. Die letzte Bastion scheinen bislang Hochzeiten und Beerdigungen zu sein, zu denen man derzeit meist noch per Post eingeladen wird was sich sicher bald auch noch ändern wird. Nicht, dass ich das als Weltuntergang empfände. Ich gehe davon aus, auf einer Hochzeit, zu der ich per Mail eingeladen wurde, ebenso ausgelassen tanzen und trinken zu können und auf einer per Mai! verkündeten Beerdigung des Verstorbenen ebenso würdig gedenken zu können. Dazu muss ich nicht auf Büttenpapier von den Terminen in Kenntnis gesetzt worden sein. 9 Ich bin da normalerweise unkompliziert. Normalerweise. Durch meinen Selbstversuch bin ich nicht nur kompliziert, sondern auch absolut ratlos, was das Wochenende bringt. Bis mein Blick auf das Stadtmagazin fällt, das ich bereits in die Kiste mit dem Altpapier geworfen habe. Wo es eigentlich immer landet, wenn ich das erste Viertel aus Stadtreportagen, Interviews und Musikkritiken durchgelesen habe. Als ich durch den hinteren Teil mit den in kleiner Schrift
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