Ich bin dann mal offline
natürlich nicht«, sagt er. »Aber dann will ich offen gestanden auch gar nicht unbedingt mit jemandem sprechen. Mich stresst es selbst jedes Mal, wenn ich jemanden anrufe und der ist gerade im Einkaufszentrum oder auf der Autobahn unterwegs. Meist kommt bei solchen Gesprächen sowieso nichts heraus, außer einem Pseudogespräch wie >Ich bin gerade da und da, ich kann dich kaum verstehen, ich ruf dich nachher noch mal an<.« Und er ist sich sicher: »Seit alle Leute Flatrates haben, ist der Anteil an Quatsch, der geredet wird, nur noch gestiegen.«
Seine Mitmenschen -ob Eltern, Freundin, Kollegen oder Fußballmannschaft -haben sich im Grunde allesamt mit Svens Verzicht abgefunden. Manchmal gibt es einen blöden Spruch, tatsächliche negative Konsequenzen hatte sein Handyboykott bisher allerdings weder beruflich noch privat. Als wir uns verabschieden und ich ihm nachsehe, wie er als langer schmaler Strich die Straße hinuntergeht, habe ich das Gefühl, dass ihm wirklich nichts fehlt. Dass sein Verzicht für ihn viel weniger dramatisch ist, als sich Handybesitzer das vorstellen können. Ich merke ja schon bei mir selbst, wie mir nach zwei Wochen der Verzicht so unendlich viel leichter fällt als in den ersten Tagen. Das Phantomvibrieren ist verschwunden. Wenn ich die Wohnung verlasse, klopfe ich nur noch ganz selten auf die rechte Hosentasche,wo das Telefon seinen Stammplatz hatte. Und der Impuls, es zu zücken, sobald ich länger als zehn Sekunden auf irgendwas warten muss, hat auch spürbar abgenommen. Tag 17 Lassen Sie sich ruhig ablenken
Auch sonst fühle ich mich mittlerweile in meiner OfflineExistenz deutlich wohler als zu Beginn meiner digitalen Fastenzeit. Das Gefühl der Einsamkeit ist verschwunden, seit ich mich wieder verstärkt mit Leuten verabrede, sie spontan anrufe oder dem Gespräch mit einem Fremden in der Bäckereischlange nicht mehr wie bisher augenrollend aus dem Weg gehe, sondern ihm freundlich antworte, dass das Wetter auch nicht nach meinem Geschmack sei.
Ich stelle außerdem fest, dass die Tatsache, dass man ständig mit seinen Freunqen digital vernetzt ist, ein reales Treffen nicht unbedingt wahrscheinlicher macht. Ein gutes Beispiel ist mein alter Freund Armin: Er verbringt seine Zeit zur einen Hälfte in Berlin und zur anderen in München, es ist also kein Kinderspiel, sich mit ihm zu verabreden -aber auch alles andere als unmöglich. Wir hatten es inzwischen aber bestimmt schon seit einem halben Jahr versucht, was eigentlich beschämend ist. Alle paar Wochen schickten wir uns SMS-Nachrichten oder E-Mails hin und her, die sich ungefähr so lasen:
»Gehen wir mal wieder zusammen essen?«
»Klar, gerne. Wann?«
»Nächste Woche?«
»Oh, da geht es leider nicht. Da bin ich in München! Hamburg/schon ausgebucht/im Urlaub/etc.«
Darin, wer von uns beiden nicht konnte, wechselten wir uns in schöner Regelmäßigkeit ab -abe sehen wollten wir uns auf jeden Fall.
»Okay. Dann die Woche drauf.«
»Ja, ist besser. Schließen wir uns doch dann einfach noch mal kurz!«
Dieses »sich einfach noch mal kurzschließen« dauerte jedoch wieder mindestens drei Wochen, und der digitale Dialog vollzog sich von Neuem. Als ich vor Monaten einmal einen Cartoon mit folgender Textzeile las »Mittagessen am Donnerstag? Donnerstag ist schlecht bei mir. Niemals könnte klappen -wie ist niemals bei Dir?«, dachte ich kurz daran, ihn Armin zu schicken. Als Mahnung, dass es uns nicht auch so ergehen möge. Aber natürlich vergaß ich es schon wenige Sekunden später, als ein Youtube-Video mit dem Titel »Gefängnisinsassen tanzen zu >Radio Gagad« meine gesamte Aufmerksamkeit beanspruchte. Vielleicht war es auch nur Zufall und die Zeit einfach reif dafür, aber als ich Armin am Festnetztelefon fragte, ob wir uns mal wieder treffen wollten, fiel der Dialog deutlich unkomplizierter aus:
»Gehen wir mal wieder zusammen essen?«
»Klar, gerne. Morgen Abend?«
»Acht Uhr, im Paparazzi?« »Super, bis dann!« Toll, wie einfach manche Dinge plötzlich sein können. Drei Prozent Talent
Weil wir schon bei YouTube-Videos von tanzenden Sträflingen sind -ich merke, wie sich nach und nach meine Konzentrationsfähigkeit immer weiter verbessert. Die ersten zwei Wochen saß ich noch vor meinem Computer -den ich offline nach wie vor zum Schreiben benutze -und ertappte mich dabei, wie ich immer wieder, ohne nachzudenken, die Tastenkombination CTRL-TAB 12 drückte. Mit dieser Kombination springt man zwischen verschiedenen
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