Ich bin dann mal offline
wir auf unsere Freunde haben. Und eben die Freunde ihrer Freunde. 17 Der berühmte Soziologe Stanley Milgram bat zum ersten Mal in den Sechzigern einige Hundert Menschen in Nebraska, einen Brief, der für einen unbekannten Geschäftsmann in Boston bestimmt war, an einen persönlichen Bekannten zu schicken, von dem sie glaubten, er könne den Geschäftsmann kennen. Oder den Brief gegebenenfalls an einen eigenen Bekannten weiterleiten, der ihn kannte. Im Durchschnitt waren sechs Weiterleitungen nötig, um den Geschäftsmann nur über persönliche Kontakte -zu erreichen. Zahllose Folgestudien, die oft auch global durchgeführt wurden, bestätigten diese Durchschnittszahl. Zunächst einmal ein gruseliger Gedanke: Der Kumpel der Schwester meines besten Freundes ist
-obwohl ich ihn noch nie gesehen habe -mitverantwortlich dafür, wie ich mich fühle und wie viel ich wiege? Na, herzlichen Dank! Aber es stimmt tatsächlich: Dadurch, dass wir unbewusst die Menschen imitieren, mit denen wir zu tun haben, ist ein Lächeln ebenso ansteckend wie eine Depression. Beim Lächeln kann man es relativ leicht selbst nachprüfen, in Sachen Depression verlässt man sich vielleicht besser auf Studien: So wiesen beispielsweise Uni-Anfänger, die ihr Wohnheimzimmer mit einem an Depressionen leidenden Studenten teilen mussten, nach einer Weile ebenfalls depressive Symptome auf.
Doch laut den Autoren Christakis und Fowler funktioniert diese Form der Ansteckung auch über größere Entfernungen -selbst wenn man sich gar nicht häufig genug sieht, um das Verhalten des anderen unbewusst kopieren zu können. »Soziale Kontakte, die Tausend Meilen voneinander entfernt leben, können zum Beispiel das Gewicht des anderen beeinflussen«, schreiben die Autoren. Ganz einfach, indem diese Kontakte unmerklich unsere Normen verändern -zum Beispiel diesbezüglich, wo für uns Dicksein anfängt oder wie viel Sport man treiben sollte. »Normen werden sogar weitergegeben, wenn sie das Verhalten einer Person nicht direkt verändern. Manche Menschen können eine Idee übertragen, ohne selbst das dazugehörige Verhalten an den Tag· zu legen. Folglich können Sie den Freund ihres Freundes beeinflussen, ohne dass dabei zwangsweise ihr Freund beeinflusst wird.« Einfacher formuliert: Wenn ich als Nichtraucher viele Raucher kenne, bringen sie mich offensichtlich nicht zum Rauchen -machen mich aber vielleicht toleranter gegenüber meinem Partner, der es nicht schafft, damit aufzuhören. Bin ich hingegen fast nur mit Nichtrauchern befreundet, werde ich vermutlich stärkeren Druck auf ihn ausüben, ohne Zigaretten durchzuhalten -die anderen schaffen es schließlich auch.
Nach Aussagen der Autoren ist der Effekt der Beeinflussung bei direkten Freundschaften stärker als bei denen um zwei oder drei Ecken -und er ist stärker in Freundschaften in unserem realen täglichen Umfeld als bei Freundschaften auf Distanz und via Facebook. Aber er ist dennoch in all diesen Fällen vorhanden. Gleichzeitig räumen sie in einem interessanten Kapitel ihres Buches mit dem Vorurteil auf, Kontaktpflege über Telefon und Internet würde dazu führen, dass wir die realen Kontakte vor unserer Haustür vernachlässigen. Sie führen dazu das Experiment an, das zwei Soziologen in den späten Neunzigerjahrenin einem Vorort von Toronto durchführten. In einer Neubausiedlung mit 109
Einfamilienhäusern wurden nach dem Zufallsprinzip 60 Prozent der neuen Bewohner mit einer Internetstandleitung und Videotelefon ausgestattet, 40 Prozent nicht. Im Lauf der Zeit stellte sich heraus, dass die Bewohner mit Internet und Videotelefon nicht nur ihre Kontakte und Freundschaften in die Feme besser pflegten (was wenig überrascht) -sondern auch die Kontakte zu ihren realen Nachbarn. Die HiTech-Bewohner kannten mehr ihrer Nachbarn mit Namen, unterhielten sich mit doppelt so vielen von ihnen regelmäßig und statteten ihnen häufiger Besuche ab. Und das lag nicht daran, dass sich die ohnehin geselligeren Menschen für das Technik-Paket entschieden hätten: Die Verteilung erfolgte rein zufällig. .
Katze allein zu Haus
Heute Abend werde ich zumindest ein paar Freunde meines Freundes Armin kennenlernen, die angeblich mein Leben indirekt beeinflussen. Denn er hat mich zu einer Lesung eingeladen, bei der er sein neues Buch vorstellt. Ein kalter Wind treibt mich durch die Straßen und von der S-Bahn-Station direkt vor die Backsteinvilla, die der Verlag für den Abend offenbar angernietet hat. Die Eingangstür
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