Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin dann mal offline

Ich bin dann mal offline

Titel: Ich bin dann mal offline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Koch
Vom Netzwerk:
Facebook befreundet sind; Dem ich relativ schnell zumindest einen dreistelligen Betrag leihen würde, obwohl wir uns nur selten sehen. Klingt kompliziert und ist umständlich zu beschreiben, ist aber in Wirklichkeit absolut einfach. Wir sind im Cafe St. Oberholz verabredet, jenem dreistöckigen Eckhaus am Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte, das seit einigen Jahren als »Tummelplatz der Digitalen Boheme« gilt. Also jener Menschen, die den ganzen Tag vor ihren aufgeklappten Apple-Notebooks und einem Milchschaumgetränk sitzen. Natürlich tun sie das mittlerweile fast in der ganzen Stadt, aber aus irgendwelchen Gründen ist die Computerquote im »St. Oberholz« immer noch exorbitant hoch obwohl es das kostenlose WLAN, das einst die Netznomaden hierher lockte, heute an jedem Eckkiosk und Bierbüdchen gibt.
    Auch heute· bin ich beinahe der einzige, der keinen Computer bei sich hat. Wie immer in diesen Tagen bin ich deutlich zu früh. Ich setze mich auf eine der Bänke an der Wand, die zu hoch angebracht sind, um wirklich bequem zu sein. Neben mir sitzt ein hagerer Mittzwanziger mit einer dicken Hornbrille. Ich nicke ihm freundlich zu, als ich meine mitgebrachte Zeitung aus der Jackentasche hole, aber er guckt unbeeindruckt weiter auf seinen Bildschirm. Aus den Augenwinkeln heraus versuche ich zu erkennen, was er gerade tut. Schreibt er einen Roman? Ein Konzept für ein neues InternetStartup, das er in zwei Jahren für mehrere Millionen an Rupert Murdoch verkaufen wird? Oder eine E-Mail an seine Eltern, dass sie ihm bitte noch mal etwas Geld schicken sollen? Ich drehe den Kopf unauffällig etwas weiter und erkenne das vertraute blau-weiße Layout der Facebook-Seite. Was als nächstes passiert, kann ich nicht genau begründen und vielleicht bestenfalls mit dem Begriff »Übersprungshandlung« erklären. Ich nehme jedenfalls zwei Finger und tippe meinem Nachbarn damit an die Schulter. Nicht aggressiv, aber doch mit gewissem Nachdruck.
    Er zuckt erschrocken zusammen, dann sieht er mich fragend an. Ich merke, wie ich knallrot anlaufe, und verfluche meine Idee. »Ich habe dich angestupst«, sage ich eher krächzend, weil mein Mund mit einem Schlag ausgetrocknet ist. »Dh-hm«, lautet die einzige Antwort, die ich von ihm bekomme. »So wie auf Facebook, hehe!«, schiebe ich nach, inzwischen wieder mit etwas normalerer Stimme, aber noch nicht ansatzweise wieder mit normaler Hirnfunktion. Jetzt
    rückt mein Nachbar so weit weg, wie er gerade eben kann, ohne dass sein Computer vom Tisch fällt. Ich weiß nicht, ob er mich für homosexuell hält, für verwirrt oder f\ir beides, ob er vielleicht nicht mal deutsch versteht und einfach nur die typische Reaktion eines Großstädters zeigt, der von einem Fremden grundlos angesprochen wird: Ignorieren, Rückzug, Geldbeutel festhalten. »Lass uns schnell woanders hingehen«, bitte ich Jörg, als er wenig später zur Tür reinkommt. »Hättest du das in einer Eckkneipe in Wedding gemacht, hättest du wahrscheinlich eine auf die Nase bekommen«, schätzt er, als ich ihm von meinem fehlgeschlagenen Experiment berichte, das virtuelle »Anstupsen« (beziehungsweise »Poken« oder »GruseheIn«, wie es auf anderen Netzwerken genannt wird) in die reale Welt zu übertragen. Und fügt kurz danach hinzu: »Oder tatsächlich einen neuen Freund gefunden.«
    Ich erzähle Jörg von meinem Interview mit dem FacebookGründer Mark Zuckerberg, den ich vor einiger Zeit in München traf. Er war damals ein wenig enttäuscht, denn das Oktoberfest, von dem er wie fast alle Amerikaner gedacht .hatte, es würde im Oktober stattfinden, war gerade zu Ende gegan-gen. Als ich mit ihm über das Thema Freundschaft im Internet sprach, sagte er folgendes: »Freunde werden im Internet zu einer immer wichtigeren Informationsquelle -wichtiger als die alten Massenmedien. Wenn Ihnen ein Freund einen Link zu einem Text oder einem Film oder einem Musikstück schickt -dann haben Sie doch sehr viel mehr Interesse daran, als wenn diesen ein wildfremder Journalist oder Musikredakteur für Sie ausgesucht hat.« Und als ich ihn fragte, ob und wie das Internet unsere Freundschaften verändere, hatte er die einfache Antwort: »Das Internet ist nicht unbedingt ein guter Ort, um neue Freunde zu finden, aber ein gutes Instrument, um die Freundschaften zu pflegen, die man hat.«
    Jörg ist ein wenig skeptisch, was die ganzen digitalen Heilsversprechen betrifft: Der Jubel über die grenzenlosen Möglichkeiten; die Studien, die Google mit 86

Weitere Kostenlose Bücher