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Ich bin dann mal offline

Ich bin dann mal offline

Titel: Ich bin dann mal offline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Koch
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Information ist das, was für die Fische das Wasser ist. Das, worin wir uns bewegen.«
    Ich weiß, dass Shirky recht hat mit dem, was er sagt. Trotzdem merke ich, während ich nach den Aufsätzen suche, die ich lesen möchte, wie leicht sich ein Gefühl der Ohnmacht einstellt, wenn man sich mit einer riesigen Menge von Informationen konfrontiert sieht. Ob es nun zwischen den Tausenden von Büchern eines Bibliothek-Lesesaals geschieht (von den Abertausenden, die in den Archiven und Kellern schlummern und die man erst mühsam per Leihsystem bestellen muss, gar nicht zu reden) oder zwischen den Millionen von Dokumenten im World Wide Web: Man hat ständig das Gefühl, noch mehr lesen, noch mehr Informationen sammeln zu müssen. Und mit jeder Information, die man verarbeitet, stößt man auf zwei neue, die man unbedingt »auch noch mitnehmen« muss, um das gesamte Bild zu verstehen. Doch bei jeder Recherche, analog oder digital, muss irgendwann der Zeitpunkt kommen, an dem man aufhört zu sammeln und beginnt, auszuwerten; zu verstehen, zu sor-tieren und gegebenenfalls zu schreiben. Sonst hat man zwar den ganzen Tag Treibholz und Baumstämme gesammelt aber am Abend weder ein Kajak noch ein Kanu gebaut. Der Klang der Stille
    Neben der konzentrierten Atmosphäre und dem Gefühl, dass jeder hier an einem vielleicht völlig obskuren, aber für sich genommen unglaublich spannenden Fachgebiet der Bioanalytik, Literaturwissenschaft oder Organisationssoziologie arbeitet, gefällt mir vor allem die Stille. Ich kenne sie von zuhause, und so fremd sie mir am Anfang war, so sehr habe ich mich an sie gewöhnt. Kein Handy klingelt, kein Computer gibt mit lautem »Blöp« eine Fehlermeldung von sich. Gespräche finden nur in der Cafeteria statt -alles,. was man hört, ist das Umblättern von Papier. Oder manchmal ein leises Schnarchen, wenn jemand nach mehreren Stunden AdornoLektüre auf seinem Bücherstapel eingeschlafen ist. Ich muss an Gordon Hempton denken, einen Geräuschesammler, den ich gemeinsam mit Jessica vor einiger Zeit im Olympic National Park in der Nähe von Seattle besucht habe. Er würde sich kaputtlachen, wenn ich ihm das, was ich in der Bibliothek genieße, als Stille verkaufen würde. Er ist in den verregneten, aber wundervoll üppigen Olympic National Park gezogen, weil es laut seinen Nachforschungen der stillste Ort in den gesamten USA ist. »Hört Ihr das?«, begrüßt er Jessica und mich bei unserem Besuch. Wir schütteln den Kopf. »Eure Ohren sind noch gestresst von der Anreise«, diagnostiziert er. »Aber in der Ferne kann man einen Dieselgenerator hören. Den gibt es normalerweise nicht, aber am Wochenende hat der Sturm ein paar Stromleitungen gekappt.« Hempton ist 57 und sammelt tatsächlich Geräusche. Was als Leidenschaft für die Klänge der Natur begann und nur ein Hobby war, das sich Hempton mit Jobs als Fahrradkurier finanzierte, wird inzwischen von Museen wie dem Smithsonian oder dem American Museum of Natural History sowie Firmen wie Microsoft gut bezahlt. »Die schicken mich um die ganze Welt, um Geräusche aufzunehmen. Nicht nur aus der Natur, sondern zum Beispiel auch den Klang einer alten Dampflokomotive«, erzählt der freundliche Eigenbrötler. Hemptons Aufnahmen kann man auch in Filmen hören: Für den Survival-Thiller »Überleben!« zum Beispiel hat er Aufnahmen vom Wind in den Anden gemacht. Viele der Geräusche von Microsofts Multimedia-Enzyklopädie »Encarta« stammen ebenfalls von ihm. Aber das Brummen des Windes in einem hohlen Baumstamm oder die Landung eines fallenden Blattes in perfekter Aufnahmequalität festhalten zu können, ist mehr als ein Beruf für Hempton. Es ist seine Passion. »Wir Menschen haben im Lauf unserer Entwicklung gelernt, dass es nicht gut ist, unseren Müll einfach in den Wald zu werfen«, erklärt er sein Anliegen. »Aber dass es auch akustische Umweltverschmutzung gibt, haben bisher nur die Wenigsten begriffen. Dabei ist es um jeden Ort der Stille, der von Lärm verschmutzt wird, genauso schade wie um einen Wald, der zu einer Müllkippe gemacht wird.« Der Nobelpreisträger Robert Koch ist ein prominenter Zeuge für Hemptons Anlie-gen, prophezeite er doch schon 1905: »Der Tag wird kommen, an dem die Menschheit den Lärm ebenso unerbittlich wird bekämpfen müssen, wie wir es mit Pest und Cholera getan haben.«
    Wir wandern durch den tropfenden, dampfenden Regenwald in der Nähe der· Grenze zu Kanada und durchqueren dabei das akustische Naturschutzgebiet,

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