Ich bin dann mal offline
selbst im Programm von Pro Sieben ist der Siegeszug der OnlineWelt nicht mehr zu übersehen: In einem einzigen Werbeblock sehe ich Spots für zwei Internet-Partnerbörsen, einen Online-Shop für Schuhe, eine halbseidene Auktionsplattform, für eine Webseite, auf der man alte Handys verkaufen kann, und für eine, auf der man Fotobücher von Digitalfotos erstellen kann. Dazu Werbung für einen OnlineWetterbericht sowie für einen »Mobile Stick« fürs Notebook, der es einem ermöglicht, auch unterwegs online zu sein. Natürlich kostet er nur noch einen Bruchteil von dem, was ich seinerzeit für meinen bezahlt habe, als mir durch den Umzug der Heimanschluss gekappt wurde und ich mir nicht mehr anders zu helfen wusste. In dem Werbespot für den »Mobile Stick« sitzt ein Mann an einem Bergsee in den Rocky Mountains vor einem Zelt. Und während sich vor ihm ein Panorama auftut, wie es die Welt allenfalls in solchen Werbefilmen gesehen hat, hat der Idiot tatsächlich nichts Besseres zu tun, als den kleinen Plastikstab in sein Notebook zu stecken und auf die Webseite vom Nachrichtensender N24 zu surfen. So traurig, falsch und armselig ich das beim Zusehen auch finde, so muss ich wohl zugeben, dass es sich statt einer Werbung auch um eine Beobachtung aus meinem Leben vor dem Selbstversuch handeln könnte. Wenn ich denn gerne zelten ginge.
Die wenigen verbleibenden Werbespots, die einen nicht ins Internet locken wollen, sind fast ausschließlich für Mobilfunkanbieter -oder eine Kombination aus beidem: Internet per Handy. Eine Frau erlebt mit, wie ein Chor »Freude schöner Götterfunken« singt, und schickt die Filmaufnahmen, die sie davon macht, an all ihre Facebook-Kontakte. »Heute hat man seine Freunde immer dabei«, lautet der dazugehörige Slogan von T-Mobile. In einem anderen Spot wendet sich , ein sehr bunt angezogener Mensch direkt an den Zuschauer: »Hi, ich bin Andi, und meine Freunde sagen, ich soll mal meinen Style wechseln. Schickt mir Eure Style-Ideen!«, bittet er das Publikum, und der Telekom-Able-ger Congstar verspricht am Ende, dass mit einem neuen Handyvertrag alles gut wird: »Ändere dein Leben, ändere deinen Provider!« Wenn es mal so einfach wäre.
Nach der Werbung sehe ich einen Beitrag über die Weltmeisterschaft im SMS-Schreiben: Mehr als sechs Buchstaben pro Sekunde tippen die Profis bei diesen Wettbewerben inzwischen -und es lohnt sich. Denn die neue Weltmeisterin Mok-Min Ha aus Südkorea nimmt stattliche 100000 Dollar Preisgeld mit nach Hause. Es gibt sogar einen Doppelwettbewerb, auch hier schlägt die 17-jährige MokMin Ha zusammen mit ihrem ein Jahr älteren Partner Yeong-ho Bae das Team der USA. Ich frage mich, ob ich manche Sachen, so wie das schnelle Tippen von SMS oder Tastenkombinationen auf der Computertastatur, nach meinem Selbstversuch verlernt haben werde. Oder ob es eher wie das berühmte Beispiel mit dem Fahrradfahren ist: Wenn man den Bogen einmal raus hat, verlernt man es nie mehr. Ich bin gespannt.
Vor allem aber bin ich überrascht, wie sehr ich mich inzwischen an meinen neuen, analogen Lebensstil gewöhnt habe. Ab und zu spüre ich immer noch den Impuls, »schnell etwas googeln« zu wollen, wenn mir eine Idee oder eine Frage in den Sinn kommt. Und der CTRL-TAB-Reflex ist auch noch nicht ganz verschwunden -wird aber immerhin seltener. Völlig verschwunden ist dafür der Zwang, unterwegs E-Mails aus dem iPhone abrufen zu wollen -ebenso wie die Angewohnheit, morgens nach dem Aufstehen als erstes den Computer einzuschalten. Auch wenn ich nach Hause komme, gehe ich nicht mehr mit Jacke und Schuhen zu meinem Schreibtisch und schalte den Rechner ein. Inzwischen gehe ich stattdessen als erstes zum Fernseher. Nein, so schlimm ist es zum Glück noch nicht geworden. Glück ist ansteckend
Heute habe ich mir das Buch »Connected« vorgenommen, in dem zwei amerikanische Forscher sich damit auseinandersetzen, wie uns unsere Freunde beeinflussen. Und nicht nur die: Sogar die Freunde unserer Freunde unserer Freunde, die wir selbst gar nicht persönlich kennen, tragen -wenn auch in geringerem Maße -dazu bei, welche Partei wir wählen und ob wir glücklich, übergewichtig oder Nichtraucher sind. Den »six degrees of separati on«17, also den berühmten sechs Ecken, um die jeder Mensch auf der Welt jeden anderen kennt, fügen die Autoren die »three degrees of influence«, den
»Einfluss dritten Grades« hinzu. Denn bis zu drei Ecken weit reicht der positive oder negative Einfluss, den
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