Ich bin dann mal offline
das Gordon Hempton hier ausgerufen hat. Um die Stille zu bewahren, notiert er sogar die Uhrzeiten, zu denen Flugzeuge über den Nationalpark fliegen. Im Internet findet er anschließend heraus, zu welcher Fluggesellschaft sie gehören, und bittet diese, ihre Routen so zu ändern, dass sie das Gelände nicht mehr über" queren. Das Erstaunliche:
»Die meisten ändern ihre Routen tatsächlich.« Trotzdem erscheint sein Kampf nahezu aussichtslos: 1983, so sagt er, konnte er auf seinen Rundreisen durch die USA noch 21 Orte finden, in denen mindestens 15 Minuten am Stück kein von Menschen produziertes Geräusch zu hören war. Ein Vierteljahrhundert später sind es nur noch drei -einer davon der Olympic National Park. Doch selbst hier muss Hempton um die Ruhe kämpfen: Die Parkverwaltung zieht seit einiger Zeit in Erwägung, Helikopterrundflüge über die eindrucksvolle Landschaft anzubieten, wie sie in anderen Nationalparks, beispielsweise am Grand Canyon schon lange Realität sind.
Fast alle Menschen seien gar nicht mehr in der Lage, Stille zu erleben -selbst wenn sie es wollten. Denn in unserer Zivilisation gibt es laut Hempton keinen Ort mehr, an dem nicht zumindest in der Ferne eine Straße zu hören ist, Maschinenlärm herüberweht -oder eben ein Flugzeug den Himmel durchfräst. »Die Menschen merken es nicht mehr«, beklagt Hempton, »Und empfinden es schon als still, wenn der Presslufthammer nicht direkt unter ihrem Fenster steht.« Nach einer mehrstündigen Wanderung, während deren er uns von seinem schwierigen Kampf berichtet, die Stille des Parks auch gesetzlich verankern und schützen zu lassen, verlassen wir den offiziellen Wanderweg. Hempton legt einen Finger über seine Lippen. Ab hier wird nicht mehr gesprochen, hat er uns vorher bereits erklärt. Wir nähern uns gewissermaßen dem Epizentrum der Stille. Wir folgen einem alten Elchpfad durchs Unterholz, balancieren auf Baumstämmen über kleine Bäche, bis wir schließlich an eine Lichtung gelangen. Hier befindet sich der »One Square Inch«, der »Quadratzoll«, ein auffälliger Stein, etwa so groß wie eine Streichholzschachtel. Hempton hat ihn auf einem Baumstumpf platziert, um den Ort der völligen Stille zu markieren. Hierhin, mitten im Park, weit weg von allen Straßen und Häusern, dringt kein menschengemachtes Geräusch. Denn das ist es, was Hempton mit Stille meint: nicht die völlige Abwesenheit von Geräuschen -sondern »die ungestörte Klangwelt der Natur«. Denn wenn keine Helikopterrotoren, Flugzeugdüsen oder Schneemobilmotoren die Harmonie der Natur stören, kann man meilenweit hören. Das Murmeln eines Baches ganz in der Nähe oder das Brüllen eines Bären im entfernten Tal. In einem ausgehöhlten Baum neben dem Baumstumpf mit dem »Stein der Stille« hat Hempton ein großes Einweckglas deponiert, in dem sich ein Block und ein Bleistift befinden. Jeder Besucher kann auf einem Zettel eine Nachricht hinterlassen, einen Gedanken, einen Wunsch. Schweigend gibt er uns einige Zettel zu lesen. Es sind sorgsam zusammengefaltete Zeugnisse besinnlicher Momente, manche überwältigt vom Glück, andere nachdenklich. Auf einem gedenkt eine Gruppe einer gemeinsamen Freundin, die sich auch mit auf die Reise an diesen einzigartigen Ort machen wollte, aber zuvor an Krebs verstarb. »Einmal hat ein junger Mann seiner Freundin dort in völliger Stille einen Heiratsantrag gemacht«, verrät uns Hempton später, als wir die Schweigezone wieder verlassen haben. Auch wir fühlen uns seltsam ergriffen und spüren gleichzeitig tiefen Frieden. Vielleicht, weil es wirklich so vollkommen ruhig war und unsere Körper diesen ungewohnten Zustand der Stille genossen. Vielleicht, weil ein Verbot, zu sprechen, schnell etwas Feierliches, Besinnliches bekommt, auch wenn man in verdreckten Wanderstiefeln neben einem Häufchen Elchmist steht. Vielleicht auch einfach, weil Gordon Hempton so ein sympathischer und mitreißender Kämpferfür die stille Sache ist. Er hat ein Buch über seine Anstrengungen geschrieben, dessen Titel übersetzt lautet: »Ein Quadratzoll Stille: Die Suche eines Mannes nach der Stille der Natur in einer Welt voller Lärm«. Die Gegenpole Lärm und Stille begleiten den »Soundtracker« schon seit jungen Jahren: Als er gerade sein Botanikstudium abgeschlossen hatte, fuhr er einmal eine lange Strecke über die nordamerikanische Prärie, wurde am Steuer müde und beschloss, sich auszuruhen. »Als ich mich neben meinem Auto in ein Feld legte, konnte ich
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