Ich bin dann mal offline
jedoch nicht schlafen«, erinnert er sich an sein akustisches Erweckungserlebnis, während wir uns auf den Weg zurück in den Lärm der Zivilisation machen, weil der Abend langsam herandämmert. »Grillen zirpten, Vögel zwitscherten, Moskitos summten um mich herum , und in der Ferne grollte ein Gewitter. Es war, als hätte sich mir urplötzlich eine neue Welt erschlossen. Eine Welt , von der ich bisher nichts gewusst hatte.«
Hempton machte diese neue Welt zu seinem Beruf und arbeitete als Geräuschesammler -bis zu seinem Hörsturz vor etwa sieben Jahren. Kein Arzt wusste Rat, und es dauerte rund anderthalb Jahre, bis das Pfeifen, das er plötzlich ständig hörte, vollständig wieder verschwunden war. Eine Zeit, in der er nicht nur finanziell, sondern auch emotional vor dem Ruin stand. Inzwischen ist sein Gehör jedoch zum Glück wieder genauso gut wie vor dem Hörsturz. Dass er jedoch ein besonders gutes Gehör habe, sei ein häufiger Irrglaube, erklärt er, während er mit einem Blick zum Himmel abschätzt, wie lange uns noch bleibt, bis die Dunkelheit über den Park hereinbricht. »Ich höre minimal besser als der Durchschnitt«, sagt er. »Aber ich habe keinerlei Superohren oder so etwas.«
Dass man jedoch auch im hintersten Winkel der USA keine ewige Garantie für Ruhe und ein ungestörtes Leben in der Natur bekommt, musste Hempton kürzlich erfahren: Nicht nur spielen die Vampirbücher »Bis(s) zum Morgengrauen« und »Bis(s) zum Abendrot« der Bestsellerautorin Stephanie Meyer in Hemptons Wohnort Forks am Rande des Nationalparks, sie locken auch die Fans dorthin. Seitdem erlebt das vormals eher ärmliche Städtchen einen Boom von Vampir-Touristen und Stepha-nie-Meyer-Fans, denen Bustouren, T-Shirts und Vampirburger geboten werden. Wenn Hempton Glück hat, geht der Spuk ebenso schnell vorbei, wie er begonnen hat, und er bekommt seinen verschlafenen Ort und seine geliebte Ruhe zurück. Wenn nicht, muss er vielleicht an einen der bei den anderen Orte ziehen, in denen es noch mehr als 15 Minuten Stille am Stück gibt. Wo die sich befinden, will er jedoch nicht verraten -um sie zu schützen. Für einen Umzug müsste allerdings noch seine Frau einwilligen, die Hempton erst vor kurzem geheiratet hat. Und für sie ist es überall gleich still. Denn sie ist gehörlos.
»Krchz ... Liebe Leser! Das Ausleihsystem steht die nächste halbe Stunde nicht zur Verfügung.« Die knorrige Lautsprecherdurchsage in der Bibliothek holt mich unsanft wieder in die Berliner Gegenwart zurück. Auch hier im Hort des Wissens hat die Stille offenbar ihre Grenzen. Trotzdem, mein Leben ist in den letzten drei Wochen deutlich ruhiger geworden; und ich genieße das jeden Tag mehr. Aber Stille das war auch Gordon Hempton auf seinem Kreuzzug wichtig -darf nicht Einsamkeit und Verzicht auf Freundschaften bedeuten. Deshalb mache ich mich am Abend auf zu Armins Lesung
-diesmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und als später der Applaus in Stimmengewirr und Gläserklirren übergegangen ist, merke ich: Manchmal kann Lärm genauso angenehm und erbaulich sein wie Stille.
Tag 24 Vom Glückscomputer ausgewählt
Das Festnetztelefon klingelt, als ich gerade aus der Dusche komme. Da ich die Kunstfertigkeit, mit der sich Frauen in einer halben Sekunde einen ordentlichen Handtuchturban auf den Kopf zaubern, zwar stets bewundert, aber nie gemeistert habe, renne ich mit tropfenden Haaren und wehendem Bademantel zum Telefon. Leider jedoch völlig umsonst: »Herzlichen Glückwunsch! Sie haben gewonnen«, will mir eine Tonbandstimme weismachen. »Ja, Sie haben richtig gehört! Unser Glückscomputer hat Sie ausgewählt ... «, mehr höre ich schon gar nicht mehr. Früher konnte man wenigstens mit Wucht den Hörer auf die Gabel knallen, um sich abzureagieren -seit die Gabel jedoch durch einen kleinen roten Knopf ersetzt wurde, den man drücken muss, geht das leider nicht mehr. Schade um die Dramatik!
Greife das Link!
Völlig bleibe ich also auch in meiner digitalen Fastenzeit nicht von Spam verschont. Obwohl er derzeit nicht in Form von E-Mails meine Nerven strapazieren kann, sondern nur per Telefon. Die zentrale Errungenschaft des Internets _ nämlich, dass es einfacher, billiger und schneller möglich ist für jeden Einzelnen, mit einer großen Menge von Menschen zu kommunizieren, hat auch dafür gesorgt, dass diese Kommunikation stattfindet, ohne dass wir es wollen. Dass uns von wildfremden Menschen Diätpillen, Penisvergrößerungen und
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