Ich bin dann mal offline
bekommt, für ein Statussymbol und Zeichen von Bedeutsamkeit.
Ein viel kapitalerer Tritt vors Schienbein meines Egos ist jedoch mein Mobiltelefon, das sich nach einer kurzen Ladezeit einschalten lässt. -Keine einzige SMS-Nachricht, die vibrierend ankommt und meinen Dopamin-Spiegel nach oben peitscht. Auch als ich nach einer halben Stunde noch einmal auf das Display gucke: nichts. Die Mailbox hatte ich abgestellt, dort können also keine Nachrichten warten -aber ich hätte doch mit der ein oder anderen SMS gerechnet. Insgeheim hatte ich sogar ein wenig gehofft, dass mich jemand, der von meinem Selbstversuch nichts wusste, per SMS kontaktieren würde. Wie würden solche Personen auf meine ausbleibende Antwort reagieren? Wie oft würden sie per SMS nachfragen? Würde mein ausdauerndes Schweigen sie in Raserei versetzen wie JDs Freundin, als sie ihn im Urlaub nicht erreichte? Würden sie irgendwann vor meiner Tür stehen -aus echter Sorge um mein Wohlbefinden oder zumindest, um mir unfassbare Arroganz vorzuwerfen? Oder wäre es den meisten vollkommen egal, wenn sie keine Antwort erhielten? Ein großes soziales Experiment hatte ich vor meinem geistigen Auge entworfen, das sich mir wie von selbst offenbaren würde, wenn ich mein Handy wieder einschaltete und eine Lawine von SMS mit zunehmendem Eskalationsgrad vorfinden würde. Doch nichts dergleichen passiert. Der SMS-Eingang bleibt leer. Irgendwann trifft eine Nachricht von Jessica ein: »Juhu! Du hast es geschafft!« So sehr ich mich freue, so sehr nagt es an mir, dass niemand sonst in den letzten 40 Tagengeschrieben hat. Da kommt mir mit einem Mal ein schrecklicher Verdacht. Endlich weiß ich auch, was ich mit den endlosen Möglichkeiten, die mir das Internet wieder bietet, anfangen soll. Eine kurze Google-Suche später weiß ich, dass SMSNachrichten je nach Netzbetreiber nur 24 oder 48 Stunden aufbewahrt werden. Wenn der Empfänger sein Telefon für längere Zeit ausgeschaltet hat und die Nachricht nicht zugestellt werden kann, wird sie einfach gelöscht. Hervorragend! Dieser Teil meines sozialen Experiments ist also grandios in die Hose gegangen. Ich überlege kurz, ob ich Jessica anrufen soll, um ihr mitzuteilen, dass ich mich gleich noch mal für 40 Tage aus der modemen Welt verabschiede. Dass ich jedoch diesmal das Handy nicht aus-, sondern nur auf lautlos schalte, bevor ich es wegschließe. Dann erinnere ich mich daran, wie freudlos das Leben als Single ist, wenn man nicht mehr 21 und Student ist, und begrabe den Gedanken an eine Wiederholung des Experiments ganz schnell und lautlos. Nachdem ich mich von meiner Enttäuschung über die vet~ lorenen SMS erholt habe, knöpfe ich mir den Mailbrocken vor, der in meinem Postfach schlummert. Ich habe es ja bereits befürchtet, so wie es fast jeder ahnt, der sich tagtäglich mit E-Mails herumschlägt: Der Bruchteil davon, der wirklich wichtig ist, ist ungefähr so groß wie der Anteil an fettarmen Gerichten auf der Karte eines FastfoodRestaurants. Sicher, es gibt immer irgendwo eine Tüte mit Apfdschnitzen oder einen Salat mit Putenbrust. Aber das meiste im Posteingang ist Schrott. Ich meine gar nicht· mal die klassischen SpamMails, von denen vorher die Rede war. Ich rede von den Newslettern, den Rundschreiben, den Infomails. Lufthansa, Airberlin und die Bahn halten mich über neue günstige Tarife auf dem Laufenden. Amazon unterrichtet mich über DVDs zum Schnäppchenpreis, eBay über seine »WOW!-Angebote«
und die Staatsoper Unter den Linden verrät mir, was im kommenden Monat gegeben wird, weil ich auch dort einmal so leichtsinnig war, meine Mailadresse zu hinterlassen. Löschen und ignorieren
Löschen, löschen, löschen. Über den Tag verteilt, können genau diese kleinen Hinweise auf Shopping-Gdegenheiten willkommene Unterbrechungen des tristen Arbeitsalltags sein. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Terminator-DVDs Tag für Tag in deutschen Büros bestellt werden, weil der Chef einen Mitarbeiter kurz zuvor wieder herumgemuffelt hat. Wie viele »Romantische Städtetrips«
gebucht werden, weil der Newsletter genau am Montagnachmittag eintrifft, wenn man den Berufsverkehr satt hat und das Wochenende so unerreichbar weit weg scheint. Auf einem großen Haufen ausgekippt, merkt man jedoch, dass der Subtext der Mails so banal wie ähnlich ist: Unterbrich, was du gerade tust, komm auf unsere Web seite und gib uns all dein Geld!
Zu diesen allgemeinen Newslettern kommen noch spezielle berufliche, die jedoch auch
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