Ich bin dann mal offline
nicht viel spannender sind. Bei mir sind es Neuigkeiten aus der Medienbranche und diverse Pressemitteilungen, bei einem Kieferchirurgen würden es vermutlich Neuigkeiten aus der Kieferforschung, Informationen über anstehende Kieferkongresse oder neue Bücher von Kieferfachverlagen sein. Meist sind das keine E-Mails, die einem den Tag retten, die man sich ausdruckt und einrahmt -aber sie gehören halt zum Job und machen ihn im Idealfall ein Stück einfacher. Nachdem ich all diese Mails gelöscht habe, die nicht mir persönlich gelten, sondern einer wie auch immer definierten Zielgruppe (zum Beispiel Bahnkunden, extrem unregelmäßige Opernbesucher oder Journalisten mit dem RessortSchwerpunkt »Flüssiges«), bleiben nicht einmal mehr 100 übrig. Zu meinen Favoriten unter den Standardmails gehören übrigens die, die mangelnde Aktivität auf der eigenen Webseite bemängeln:
»Du warst in letzter Zeit nicht auf Facebook -Freunde warten auf deine Nachricht«, schreibt mir zum Beispiel Facebook. »Wie populär bist und warst du in deiner Klasse?«, quengelt ein anderes Netzwerk, aus dem es mir trotz intensivster Bemühungen bisher nicht gelungen ist, mich abzumelden. Von den verbleibenden Mails, die Menschen an mich persönlich adressiert haben, hat sich ein Großteil wiederum schon von selbst erledigt. Die Einladung zu der Lesung, zu der ich einen Tag zu früh erschien. Freunde, die sich auf ein paar Getränke treffen wollten und dann anriefen, als sie merkten, dass mich ihre Mails nicht erreichen. Aber auch insgesamt drei Aufträge für Artikel, bei denen sich die jeweiligen Absender nicht die Mühe gemacht hatten, anzurufen, sondern vermutlich gedacht haben, ich sei übergeschnappt. Und einfach einen anderen Kerl beauftragten, der weniger kauzig war, seine Mails beantwortete und an sein Handy ging, wenn es klingelte. Sollte ich mich also entscheiden, dauerhaft offline zu gehen, müsste ich mir vermutlich binnen weniger Monate einen neuen Job suchen. Wenn auch keine erfreuliche, so doch zumindest eine sehr handfeste Erkenntnis meines Selbstversuchs. Vor dem Nachmachen also bitte die Risiken und Nebenwirkungen bedenken. Während ich mich durch den endlos erscheinenden Berg von Mails klicke, klingelt das Telefon: Mein Steuerberater ist dran und sagt, wir müssten ein paar Dinge zu meiner Ouartalsabrechnung besprechen. Verdammt, nie glaubt er mir, dass ich mir die elektrische Eierköpfmaschine und die Rückenmassiermatte für die Sessellehne ausschließlich zu beruflichen Recherchezwecken bestellt habe! Er fragt, ob es mir gerade passt, und entgegen meiner guten Vorsätze, nicht mehr ständig drei Dinge gleichzeitig zu machen, sage ich ja und lösche, während ich ihm zuhöre, munter weiter Newsletter mit Betreffzeilen wie: »Starten Sie jetzt in den oberösterreichischen Frühling!« Noch während wir über die Gründe diskutieren, warum mein großes Essay über das Eierköpfen schlussendlich doch nicht erscheinen konnte, klingelt mein Handy. Ein Interviewpartner, mit dem ich für nächste Woche verabredet bin, möchte den Termin verschieben. Ich bitte den Steuerberater dranzubleiben und lösche in dieser Sekunde ausgerechnet eine Mai!, die doch kein sinnloser Newsletter war. Während ich versuche, sie aus dem virtuellen Mülleimer zu bergen, öffne ich meinen Terminkalender und suche nach einem Alternativtermin. Ich bin gerade mal wieder einen halben Tag zurück unter den digital Lebenden, und mein Kopf brummt wie der von Frank Schirrmacher -würde dieser versuchen, in einer Achterbahn seinen Videorecorder zu programmieren. Keine Gnade tür Handball-Uwe
Irgendwann ist ein neuer Termin gefunden, meine Steuererklärung sauber wie frisch gefallener Schnee, und mir bleibt nichts anderes übrig, als ungläubig den Kopf zu schütteln. Vor sechs Wochen hätte ich mir während dieses Doppelgesprächs noch ein Spiegelei gebraten und auf Twitter live davon berichtet -heute bringt es mich an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Eine Anekdote, mit der Professoren auf der ganzen Welt ihre Erstsemester zum hingerissenen Staunen bringen, ist die Geschichte von den Gehirnen der Londoner Taxifahrer. In diesen wurde nämlich ein deutlich vergrößerter Hippocampus gemessen, der Teil, der für räumliches Denken und Orientierung verantwortlich ist. Wenn es einen Teil im Gehirn gibt, der für das schnellere Verarbeiten größerer Informationsmengen zuständig ist, muss er bei mir in den vergangenen sechs Wochen auf Erbsengröße
Weitere Kostenlose Bücher