Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
Zuwendung macht Inca allerdings komplett verrückt, also sammele ich die Wut in meinem Bauch und brülle aus Leibeskräften in Richtung des Nachbarhauses auf Spanisch: »Was ist denn hier los? Wohnen hier Christenmenschen oder nicht?«
Es dauert keine zehn Sekunden und ein verschüchterter Mann tritt aus dem Haus, öffnet wortlos den Verhau, löst die Kette und lässt Inca in den großen Garten laufen.
Inca ist sofort quietschfidel und wechselt, wild herumtollend, in die schattige Seite des Gartens. Dann rollt sie sich ein paar Mal über den Rasen und ist ganz still. So einfach geht das!
Mir fällt ein Stein vom Herzen. Die Hündin sieht derweil total verdattert aus und scheint überhaupt nicht zu begreifen, warum sie auf einmal nicht mehr leidet.
Jetzt geht’s mir besser und vor allem Inca!
Anne ist den ganzen restlichen Nachmittag über müde, weshalb wir nicht mehr viel unternehmen. Gegen Abend gönnen wir uns einen Spaziergang durch den verwunschenen Ort. Dort, wo der Camino wieder in die Wildnis mündet, steht ein kleines, beeindruckendes Denkmal. Das verbeulte Fahrrad eines deutschen Pilgers ist kunstvoll in ein Monument integriert worden. Der Radfahrer ist kurz hinter El Acebo tödlich gestürzt. Die Dorfbewohner haben hier zu seinem Andenken mit vereinten Kräften eine bleibende Erinnerung geschaffen. Leider ist er nicht der Einzige, der sein Leben auf dem Weg beendet hat. Immer wieder sieht man kleine, blumengeschmückte Kreuze mit eingravierten Namen, die mahnend an den Stellen stehen, an denen Pilger zu Tode gekommen sind. Sei es, dass sie vor Erschöpfung durch Herzversagen gestorben sind, von einem Auto erfasst wurden oder gestürzt sind. An diesen Plätzen der Totenverehrung wird einem zwischendurch wieder bewusst, welcher Herausforderung man sich hier eigentlich stellt.
Bis Santiago sind es noch zweihundertzwanzig Kilometer.
Erkenntnis des Tages:
Ich sage das, was nötig ist, und nicht mehr!
8. Juli 2001 – El Acebo
Gestern Nacht hat Anne fürchterlich laut geschnarcht. Wenn jemand schnarcht, kann ich absolut nicht schlafen. Also habe ich »das Universum« genervt gebeten: »Hör mal zu! Du wirst ja wohl in der Lage sein, dieses Schnarchen innerhalb der nächsten fünf Minuten abzustellen, ohne dass die Arme einen bleibenden Hirnschaden davonträgt!«
Nach einigen Minuten ist sie ganz still und schläft bis heute Morgen ruhig durch. Großartig. Und Kompliment ans Universum!
Es ist viel einfacher, den Weg nicht alleine zu laufen. Anne ist witzig, sodass ich viel lache und die Zeit schneller vergeht. Wir haben uns in Astorga genau zum richtigen Zeitpunkt wiedergetroffen. Das Alleinwandern war eine sehr wichtige Erfahrung, aber das Wandern mit einem Freund hilft mir, das in der Theorie Gelernte nun in die Praxis umzusetzen. Je länger wir zusammen laufen, desto mehr genießen wir es!
Anne sieht nach dem Aufstehen zerknautscht aus und ist wie gerädert. Mir ist auch nicht nach hektischem Aufbruch zu Mute, ergo beschließen wir, eine weitere Nacht in El Acebo zu bleiben. Auch um heute hier auf Sheelaghs Ankunft zu warten, denn sonst verlieren wir sie womöglich aus den Augen. Falls sie kommt, haben wir sogar noch ein freies Bett für sie. Anne legt sich also gleich wieder hin und fällt augenblicklich in einen komatösen Schlaf.
Mein Frühhunger treibt mich in die Gastwirtschaft im Erdgeschoss, wo ich umgehend eine weitere Übernachtung klar mache. Das gelingt glücklicherweise noch, obwohl im Butzenscheibenfenster bereits das Schild »completo« hängt. Mittlerweile ist es gar nicht mehr selbstverständlich, auf Anhieb ein Zimmer zu finden. Außer Keksen, trockenem Marmorkuchen und Kaffee wird zum Frühstück nichts geboten, aber daran habe ich mich ja inzwischen wirklich gewöhnt.
Während ich das karge Mahl genüsslich zu mir nehme, herrscht ein wildes Kommen und Gehen von Pilgern aus aller Welt und eine argentinische Gruppe lässt ein Geburtstagskind in ihrer Mitte lautstark hochleben. Da betritt ein verschwitzter Pilger mit einem mir vertrauten pummeligen Gesicht die Kneipe. Der Bodenseepilger steht abgekämpft im Türrahmen und schnauft. Ich fasse es nicht; wahrscheinlich tauchen gleich auch noch Schnabbel und Gerd auf.
Da kein Platz im Raum mehr frei ist, lotse ich ihn auf Deutsch an meinen Tisch. Natürlich frage ich ihn sofort, was Gerd und Schn... seine Frau machen? »Ingeborg, sie heißt Ingeborg«, informiert mich meine flüchtige Pilgerbekanntschaft, die übrigens Thomas
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