Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
Fernsehen hat sogar einen Dokumentarfilm darüber gedreht.
Uha! So wie Sheelagh diese Geschichte mit ihrer eindrucksvollen Erzählerstimme vorträgt und perfekt die unheimlichen Geräusche auf dem Kopfsteinpflaster und auf dem Holzboden imitiert, kann einem nur Angst und Bange werden.
Anne ist während der Geschichte seelenruhig eingeschlafen, dafür konnte ich danach nicht mehr schlafen. Sheelagh musste mir versprechen, in den kommenden Nächten noch andere Gespenstergeschichten aus Neuseeland zu erzählen.
Heute sind wir drei nach dem ausgiebigen Frühstück zu spät losgelaufen. Es ist eigentlich schon viel zu heiß bei unserem Aufbruch. Sheelagh meint, dass Anne und ich eigentlich nicht der richtige Umgang für sie seien, da wir zwei uns gegenseitig in unserer behäbigen Gemütlichkeit nur unterstützen würden und dass das zwar extrem spaßig, aber auch gefährlich ansteckend für sie sei und dass sie vorhabe, ab sofort dagegenzuhalten. So ist sie eben, unsere Mutti!
Der heutige Camino ist wieder großartig und die pure Freude. Wir drei marschieren in einem wunderbaren Einklang. Diese beiden Frauen sind genau die Freunde, nach denen ich mich auf dem Weg gesehnt habe: humorvoll, weltoffen und vor allem herzlich. Spielerisch und vollkommen unverkrampft lassen wir einander in das Leben des anderen eintauchen. Weder Sheelagh noch Anne insistieren besonders, wenn es um meinen Beruf geht, und ich gebe heute auch nicht mehr als ein paar lustlose, wenig sagende Erklärungen ab. Sheelagh sieht das alles herrlich unverbissen und ihr einziger Kommentar dazu ist: »Jeder in seinem Tempo! Wenn du Lust hast, wirst du mir sicher mehr darüber erzählen, aber das, was du jetzt nur andeutest, klingt schon interessant!«
Die Landschaften sind atemberaubend. Über Stunden durchwandern wir eine wilde, dunkelgrüne Bergregion mit viel wildem Getier. Meine Kilometer zähle ich nicht mehr so genau. Wahrscheinlich war das vorher auch eher so eine Art Beschäftigungstherapie. Es ist ja auch mittlerweile vollkommen egal, wie viel wir am Tag laufen, denn wenn jetzt nichts Weltbewegendes mehr dazwischenkommt, bleiben wir alle drei präzise in unserem Zeitkorsett.
Sheelagh will unbedingt von mir wissen, wie es in Deutschland eigentlich genau aussehe, denn sie sei noch nie dort gewesen und sie habe – bis auf die Alpenregion – auch keine klare Vorstellung davon. Und ich stelle fest, dass es eine echte Herausforderung ist, etwas mir so Vertrautes zum ersten Mal in der Fantasie eines anderen Menschen mit Worten zum Leben zu erwecken. Da ich nie in Neuseeland war, kann ich auf keine eventuell möglichen Vergleiche zurückgreifen, und Sheelagh hat bisher vor allem Südostasien bereist. Bei der Charakterisierung Berlins kann mir Anne noch tatkräftig unter die Arme greifen und ihre Darstellung ist stimmig. In Sheelaghs Vorstellung versuche ich eine möglichst lebendige, vielfältige Dia-Show meiner Heimat zu projizieren, indem ich ihr meine inneren Bilder von Nordrhein-Westfalen, Sylt, Rügen, Hamburg, Dresden, München, dem Schwarzwald und dem Rheintal bei St.Goar kopiere, immer mit der Empfehlung, sich das alles auf einem Klangteppich aus Glockengeläut vorzustellen, denn irgendwo in Deutschland bimmelt immer ein Glöckchen.
Natürlich gerate ich auch über unsere Brotvielfalt ins Schwärmen! Offensichtlich habe ich danach nicht nur Sheelagh und Anne Appetit auf eine längere Reise in das kleine, exotische, abwechslungsreiche Land gemacht, sondern auch ich finde, dass ich da einen wirklich schönen Flecken auf unserem Planeten beschrieben habe, und mir war bisher gar nicht bewusst, wie sehr ich daran hänge.
Schön! So kurbelt man als Pilger ganz nebenbei auch noch die lahmende Tourismuswirtschaft in der kaltfeuchten Heimat an. Im Gegenzug versucht die Neuseeländerin mir die Perle Ozeaniens auf einem halluzinatorischen Klangteppich aus tropischem Vogelgezwitscher zu vergegenwärtigen, der mich am liebsten gleich den nächsten Flug buchen lassen würde.
Bei unserem späteren langen Abstieg schauen wir auf das Dorf Molinaseca, durch das sich in einer großen Schleife das saubere Flüsschen Río Meruelo zieht, an dessen sanften Hängen hier und da Wein angebaut wird.
Der Zufall will es, dass es hier von der Landschaft rings herum bis zur Architektur der fachwerkartigen schiefer gedeckten Häuser beinahe so aussieht wie im nördlichen Rheinland-Pfalz, und es fehlt mir eigentlich bloß ein kleines Kastell auf einem der Hügel. Die
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