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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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erzählt sie uns, dass im ganzen Dorf kein freies Bett mehr zu kriegen sei, und will wissen, wo wir denn schlafen. Anne und ich beschließen im stillen Einvernehmen die arme ausge powerte Sheelagh ein bisschen hochzunehmen. Anne behauptet, dass wir unverschämtes Glück gehabt hätten und man uns das allerletzte Doppelzimmer gegeben habe. Sheelaghs Hoffnung auf eine geruhsame Nacht scheint sich nun gänzlich zu verflüchtigen und so reagiere ich schnell: »Komm, ich zeig dir mal unser Zweibettzimmer!« Als sie das Dreibettzimmer betritt, stutzt sie: »Oh... drei Betten? Aber ihr seid doch nur zu zweit!« Worauf ich nur erwidere: »Jetzt nicht mehr!«
    Den restlichen Tag verbummeln wir drei im Garten des Hotels mit Wäschewaschen, Kaffeetrinken, Wäscheaufhängen, Kekseessen, Kartenspielen und Erzählen. Im Nachbargarten sitzt – derweil nicht mehr angekettet – Inca, der Schlittenhund, mit gespitzten Ohren, lauscht gebannt unseren Geschichten und erfährt so unter anderem, dass Sheelagh in der Verwaltung der neuseeländischen Hauptstadt Wellington für die städtebauliche Planung zuständig ist und zwei gewitzte Teenagertöchter hat, auf die sie mächtig stolz ist.
    Erkenntnis des Tages:
    Es lebe der feine Unterschied zwischen den Weltsprachen.

9. Juli 2001 – Molinaseca, Ponferrada
     
    Nach dem Aufstehen wollte Sheelagh unbedingt das Zimmer bezahlen. Das war mir allerdings gar nicht recht, denn schließlich hatte ich sie ja eingeladen und so hat sie sich wiederum nicht lumpen lassen und uns stattdessen zu einem großartigen Frühstück in eine bessere Bodega gebeten. Nach unserem Gelage war die Rechnung fast so hoch wie die fürs Zimmer, was Sheelagh sichtlich gefreut hat. Unter vier bis fünf großen Milchkaffee pro Kopf und ebenso vielen Mineralwassern verlassen Anne und ich nun mal keinen noch so piefigen Ort.
    Wenn wir nicht wandern, ist Anne, glaube ich, definitiv unterfordert, denn gestern Nacht konnte sie überhaupt nicht einschlafen und wollte sich unbedingt über alles Mögliche unterhalten, wonach mir nun gar nicht der Sinn stand, da ich alleine durchs Wäschewaschen rechtschaffen müde war. Also hat Sheelagh einen Mittelweg gefunden und uns kurzerhand wie unsere Mutti eine spannende Gespenstergeschichte erzählt, und zwar eine, die sich angeblich wirklich in ihrem Geburtshaus in Wellington zugetragen hat. Dieser Zusatz machte die Geschichte natürlich doppelt spannend.
    Im Jahre 1860 lebte in dem viktorianischen Landhaus im rauen Südwesten der neuseeländischen Nordinsel ein walisischer Vorfahre von Sheelagh und betrieb dort eine Pferdezucht. Der Farmer hatte einen Stallknecht bestimmt, der nur für das Wohl seines Lieblingstieres, eines weißen ungestümen Hengstes, zuständig war.
    Hinter dem Rücken des Besitzers misshandelt der Bursche das wilde Tier jedoch des Nachts mit Tritten und Schlägen, um es gefügig zu machen. Bald ist das Tier so verängstigt, dass es schon laut vor Angst wiehert und auf der Stelle trampelt, wenn die schweren Schritte des Knechtes vor dem Stall zu hören sind.
    Der Besitzer wundert sich zwar über das ungewöhnliche Verhalten des Tieres, bringt es dennoch nicht in einen direkten Zusammenhang mit dem jungen Pfleger, der sich in Gegenwart seines Arbeitgebers natürlich nichts zu Schulden kommen lässt. Als der Pfleger wieder einmal des Nachts zu dem verängstigten Tier in den Stall schleicht, um es zu malträtieren, vergisst er das Gatter zu schließen und das stolze Ross kann in seiner Panik durch einen schnellen Galopp über den Kopfsteinpflasterweg in die Nacht entkommen, um kurz darauf durch einen mysteriösen Sturz zu Tode zu kommen.
    Noch in der Nacht stellt der Gutsherr den Knecht, der geständig ist, zur Rede und entlässt ihn. Nach diesem Vorfall kann der Pferdezüchter bis zu seinem Tode keine einzige Nacht mehr durchschlafen und wandert stattdessen in seinem Zimmer unruhig auf und ab, sodass das Quietschen der Holzdielen im ganzen Haus zu vernehmen ist. Der arme alte Mann verstirbt bald vor Gram über den Verlust seines geliebten Hengstes.
    Und noch heute sind dort an jenem Platz in Wellington jede Nacht die schweren Schritte des Stallburschen auf dem Hof zu vernehmen, danach das panische Galoppieren des Hengstes über das nicht mehr vorhandene Kopfsteinpflaster und schlussendlich die Schritte des Gutsbesitzers in seinem Zimmer und das Quietschen des Dielenbodens. Und niemandem in diesem Landhaus ist ein erholsamer Schlaf vergönnt! Das neuseeländische

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