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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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weichen Stoffteddy im Arm, drückt sie die Matte an sich und strahlt übers ganze Gesicht. Ich beschließe, bekleidet zu schlafen, und freue mich über 750 Gramm weniger in meinem Rucksack! Kurz bevor Anne sich wieder in ihren Schlafsack kuschelt, dreht sie sich noch einmal flüsternd zu mir: »Sorry, Hans Peter, for being so rude to you today... but you know... Not ever y one is nice only because he’s a pilgrim. But you are nice!«
    Ja, nicht jeder, der pilgert, ist automatisch nett!
     
     
    Mesón el Peregrino (in Santo Domingo de la Calzada)  
     
    Ich kann mir nicht helfen, aber meine englische Bettnachbarin erinnert mich kolossal an meine englische Gastmutter in Eastbourne, bei der ich vor einundzwanzig Jahren Englisch lernen durfte. Sie hieß auch Anne, war genauso groß, trug auch eine Brille, hatte einen ähnlichen Akzent und rote Haare. Ich habe irgendwie das Gefühl, diese Anne zu kennen.
    Und das, obwohl sie sehr abweisend auf mich wirkt, aber das war meine englische Gastmutter damals am Anfang auch. Bis wir uns sehr gut befreundeten und uns über viele Jahre Briefe geschrieben haben.
    Als ich gegen 22 Uhr kurz vor dem Einschlafen bin, werde ich durch stramme Schritte und eine laute, monotone Stikme geweckt.
    Ich fasse es nicht, die Mutter Oberin läuft durch die Schlafsäle und sie zählt die Pilger durch. Weder wünscht die Nonne uns eine gute Nacht noch sonst was, sie zählt einfach nur ihre Schäfchen. Ich hoffe, ich kann wieder einschlafen. Es ist schon verdammt laut und stickig in diesem Saal. DiesesAcht-Bett-Zimmer ist verbunden mit sieben weiteren Schlafsälen, in denen insgesamt weitere fünfzig Personen schlafen. Jedes Geräusch, jede Bewegung ist zu hören und die geschlossenen Fenster sind nicht abzudunkeln. Na dann, gute Nacht!
    Erkenntnis des Tages:
    So manche Sache hat man dann doch nicht umsonst mit sich rumgeschleppt!

18. Juni 2001 – Santo Domingo de la Calzada
     
    Es ist jetzt vier Uhr morgens. Bisher habe ich kein Auge zugetan. Mein ganzer Körper juckt, irgendwas hat mich gebissen.
    Die zählende Nonne weiß jetzt zwar, wie viele Schafe sie hütet, und schläft wahrscheinlich fest und tief, aber das Schaf in Bett Nr.7 kann leider nicht mehr einschlafen seit dem Zählappell, zumal dieses Zimmer einfach nicht richtig dunkel wird. Alles ist irgendwie, wie soll ich sagen, siffig. Es ist anstrengend, mit sieben fremden Leuten in einem Zimmer zu schlafen und die anderen fünfzig Personen in den weiteren Sälen zu hören und belastend viel von ihnen mitzukriegen, sie zu spüren und zu riechen. Mein Bett steht auch noch ausgerechnet direkt an der Tür zur einzigen Toilette. Grauenvoll. Alle fünf Minuten geht irgendjemand aufs Klo und die Spülung braust ununterbrochen. Da schnarcht einer, die Luft wird knapp, da sprechen Leute im Schlaf. Von wegen: »intensive menschliche Begegnung in der Pilgerherberge«, wie mein euphemistischer Reiseführer es nennt.
    Ich bilde mir ein, die Ätherkörper der anderen Menschen, ihre Sorgen, Wünsche, Sehnsüchte förmlich zu spüren. Wenn man schlafen will, ist das einfach nur anstrengend. Keine Ahnung, wie man sich gegen so etwas besser schützt! Ich bin zu offen!
    Pilgerherbergen sind für Leute gedacht, die kein Geld haben. Überhaupt kein Geld.
    Billiger kann man nicht Urlaub machen, denn die Pilgerherbergen kosten nichts. Meine Oma hat es schon immer gewusst: »Was nichts kostet, das ist auch nichts.«
    Und kalt ist es geworden! Ich hab sie doch nicht mehr alle, mir so eine Herberge anzutun. Wie alt bin ich eigentlich? Fünfzehn? Ich hab es schon zu meiner Schulzeit gehasst, in Jugendherbergen zu schlafen.
    Warum sollte so was zwanzig Jahre später toll sein? Ich sag nur: Lagerkoller! Diese Badezimmer! Na ja, Zimmer... Kabinchen. Ohne Worte. Ich muss nicht durch den Fußpilz anderer Leute waten, um erleuchtet zu werden! Fußpilz leuchtet übrigens bei Infrarotstrahlung im Dunkeln!
    Das geht nicht! Ich kann mir ein Hotel erlauben, also werde ich ab jetzt auch wieder in Hotels schlafen. Ich kann und will hier nicht den Armen spielen. Hans Peter! Sei du selbst! Das hier bist du nicht!
    Da sowieso nicht mehr an Schlaf zu denken ist, stehe ich auf und packe meine Habseligkeiten zusammen. Anne, als eine der Wenigen, schläft tief und fest, also breche ich grußlos auf und verlasse den Raum. Es kann nicht mehr so lange dauern, bis die Sonne aufgeht. Und so mache ich mich durch das verzwickte Labyrinth der Klostergänge auf den Weg nach draußen und

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