Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
bekommt einen Ehrenplatz!« Und da er nicht nur Hutverkäufer, sondern auch Drogist ist, schenkt er mir noch zwei Tuben Gesichtscreme von Yves Rocher. Kurz bevor ich das Geschäft verlasse, ruft er mir noch hinterher: »Ulkig, alle Deutschen haben so einen großen Kopf wie du. Ihr denkt viel. Zu viel!«
Recht hat er, diese verfluchte Denkmaschine, die versucht, Herz und Bauch ständig zu kontrollieren.
Ich versuche jetzt mal, meinen Kopf abzuschalten. Klick, mache ihn jetzt aus. Ich gehe jetzt in die Kathedrale und warte so lange, bis der Hahn wieder kräht. Stop! Nicht denken, heute mal nur Herz!
Während der Messe im Dom küsse ich wie alle Pilger eine Reliquie des heiligen Hieronymus; keine Ahnung, wofür der gut ist. Heute denke ich ja nicht mehr.
Die Spanier verstehen es, eine Messe zu zelebrieren! Aber der Hahn bleibt dieses Mal wieder stumm!
Immer wieder zieht es mich in die Kirchen, natürlich auch, weil sie die einzigen kühlen Orte weit und breit sind, dagegen kommt keine Aircondition an. Und ganz nebenbei verbessere ich während der Messe mein Spanisch; selbst, wenn ich nicht alles verstehe – ich geb’s fast ungern zu –, fühle ich mich nach dem Kirchgang gestärkt.
Als ich danach durch die Stadt zurück ins Hotel laufe: Wer hält plötzlich mit seinem Wagen, laut hupend, neben mir? Der Mann aus dem Hutladen und lädt mich zu einer Flasche Rioja auf seine Finca ein. Mein Herz jubelt: Ja, ich würde wirklich gerne mitfahren. Aber Rioja – das klingt nach einer langen Nacht und ich will morgen früh weiter. Also lehne ich dankend ab.
Ein bisschen enttäuscht zuckelt der Herr in seinem Wagen weiter und ich ärgere mich schon wieder über mich: Warum bin ich nicht mitgefahren? Hätte doch eigentlich Lust dazu gehabt. Blöde Kopfentscheidung!
Auf dem kleinen Domplatz ist es am schönsten, also lasse ich mich auf den Stufen zum Rathaus gegenüber dem Gotteshaus nieder und beobachte den hektischen Flug der Tauben in der Abenddämmerung. Mir fällt eine einbeinige schneeweiße Taube auf, die wegen ihrer Behinderung gehörig aus der Reihe tanzt und mit dem Tempo ihrer gefiederten Gefährten nicht mithalten kann. Ihre Bewegungen sind tollpatschig, trotzdem wirkt sie, so weit das bei einem Vogel möglich ist, durchaus würdevoll. Das Tier beeindruckt mich und so besorge ich mir in einer Bäckerei in einem Seitengässchen etwas Brot und versuche eine vorsichtige Kontaktaufnahme mit dem Tier. Während alle anderen Tauben ängstlich vor mir flüchten, traut sich die weiße Taube immer näher an mich heran, bis sie mir schließlich sogar aus der Hand frisst.
Hinterher gurrt sie satt und zufrieden. Sie wusste, dass ihr in ihrer Situation nichts anderes übrig blieb, als sich dem gefährlich wirkenden großen Wesen zu nähern, wenn sie überleben wollte. Diese Taube hat eine stramme Leistung vollbracht. Ich bilde mir ein, ihre Mittauben haben ihr bewundernd und neidisch zugeschaut.
In meinem allwissenden Reiseführer steht, dass dieser Weg ein Erleuchtungsweg ist.
Ich glaube allerdings, es ist ein Weg ohne Erleuchtungsgarantie. So wie Urlaub keine Erholungsgarantie bietet. Gut, ich will nicht zu viel erhoffen, aber Erleuchtung wäre schon nicht schlecht! Was immer das auch ist!
Ich stelle mir die Erleuchtung wie ein Tor vor, durch das man schreiten muss. Wahrscheinlich darf man keine Angst haben, durch das Tor zu treten, und man darf es sich andererseits auch nicht zu sehr wünschen, hindurchzugehen. Je gleichgültiger man durch das Tor der Erleuchtung zieht, desto schneller und einfacher passiert es vielleicht?
Man darf sich nicht nach dem sehnen, was hinter dem Tor ist, und nicht das hassen, was vor dem Tor ist. Es ist gleichgültig. Vielleicht ist Gleichgültigkeit ja Lebensfreude? Keine Erwartungen, keine Befürchtungen.
Erwartungen verursachen Enttäuschung. Enttäuschung verursacht Befürchtung und Befürchtung ist ja wieder Erwartung. Hoffnung erzeugt Angst, Angst erzeugt Hoffnung. Gleichgültigkeit? Tja, der Opa kommt heute ins Philosophieren.
Weizenfelder, wohin das Auge blickt
Die morgige Strecke habe ich mir bereits auf der Wanderkarte angeschaut. Die dürfte nicht zu anstrengend werden und knapp siebeneinhalb Stunden dauern.
Erkenntnis des Tages:
Öffne dein Herz und knutsche den Tag!
21. Juni 2001 – Castildelgado
Als ich heute Morgen um neun Uhr loslaufe, ist es bereits glühend heiß und in der Ferne bringt die Sonne die schneebedeckten kantabrischen Berge
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