Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
nicht, und der Witz ist, von ihrem Gaga-Portugiesisch verstehe ich eine ganze Menge. Sie muss nicht mal mehr allzu langsam sprechen.
Die hübsche Frau dürfte etwa in meinem Alter sein. Für die Südamerikaner ist der Camino der große Heiratsmarkt. Streng katholische Eltern schicken ihre Kinder mit der Aufgabe los, mit einem potenziellen Ehepartner zurückzu kehren.
Ich will nicht hoffen, dass Claudia sich jetzt ernsthaft mich ausgeguckt hat. Chilenen, Argentinier, Mexikaner und Brasilianer sind die Hauptvertreter ihres Kontinents auf dem Pilgerweg. Die Brasilianer sind schon die Lustigsten.
Während Claudia und ich auf der Bank hocken, fragt sie mich, welche magischen Erlebnisse ich bisher gehabt hätte, denn auch für sie scheint es ganz normal zu sein, dass man hier Ungewöhnliches erlebt. Ich kann nicht so recht auf ihre Frage antworten, da ich meine bisherigen Erlebnisse nicht so recht unter der Rubrik »magisch« abbuchen kann.
Claudia erzählt mir die spannende Geschichte vom Nachmittag ein zweites Mal, jetzt allerdings in Zeitlupe.
Sie habe einen kleinen halbtoten Spatzen gefunden, ihn dann fünf Kilometer durch die pralle Sonne in einen schattigen Hain getragen, ihn dort gewaschen – tja – und nach ein paar Stunden konnte er wieder fliegen. Also wirklich gesagt hat sie natürlich: Spatz fast tot – gefunden – aufheben – laufen fünf Kilometer mit Spatz – viel Sonne – dann Wald – kalt – Vogel waschen – warten – dann Vogel fliegen.
Das ist doch mal ’ne schöne Gute-Nacht-Geschichte und so verabschiede ich mich von der heiligen Franziska von Rio in die lauwarme Nacht.
Und auf dem Spaziergang zurück durch die leichte Brise zu Vitorios Bodega frage ich mich, wo all die Leute, die ich bereits auf dem Jakobsweg kennen gelernt habe, gerade stecken? Antonio, Larissa, Stefano, Victor und Anne?
Claudia sehe ich garantiert morgen wieder oder auch nicht. Man weiß es nie. Menschen tauchen auf und dann sind sie plötzlich wieder wie vom Erdboden verschluckt.
Erkenntnis des Tages:
Keep on running! Ich halte mehr aus, als ich denke!
26. Juni 2001 – Castrojeriz und Frómista
Gestern Abend hat Vitorio mit zwei betrunkenen Freunden noch sehr lange unten in seiner Kneipe gezecht. Zur Sicherheit habe ich den Schlüssel an meiner Zimmertür zweimal umgedreht. Hab aber ganz gut geschlafen. Bin heute Morgen dann schon um 6 Uhr 30 losmarschiert.
Derkleine, dickeVitorio will mir vorher noch einen Milchkaffee brühen, worauf ich allerdings gerne verzichte, denn meine spanischen Frühstückskekse liegen hier unverpackt zwischen leeren stinkenden Bierflaschen auf der schmierigen Theke. Dann greift er sich flink einen ungewaschenen Teller, legt irgendetwas Undefinierbares darauf und füttert damit die Katzen auf der Straße. Ich nehme an, den Teller hat er danach – wenn überhaupt – nur kalt abgeschreckt.
Langsam, aber sicher gehen der Dreck und der Schmutz mir ein bisschen auf die Nerven. Mein Gott, Deutschland ist wirklich sauber und das ist auch gut so. Vielleicht bin ich spießig, aber es lebe an dieser Stelle mal die deutsche Sauberkeit.
Um mich nicht zu übergeben, verlasse ich das Etablissement fluchtartig und laufe im Eiltempo, völlig heiß auf ein gutes Frühstück, erst mal zwei Stunden über die Landstraße in den nächsten Ort. Elf Kilometer! Eigentlich bin ich ohne Frühstück zwar nicht zu gebrauchen, aber angesichts der Situation bleibt mir keine andere Wahl.
Wenn dann aber auf dem Weg als einziges Geräusch das Singen der Vögel zu hören ist, ist das schlicht traumhaft und man ist mit der Welt versöhnt. Kuckucke, Turteltauben, Spatzen, allerlei Singvögel, dazwischen das Geklapper von Störchen. Dieser Planet wäre doch unerträglich ohne den Gesang der Vögel.
Auf dem Weg nach Castrojeriz entdecke ich vor mir in der Ferne Claudia, ein Stück unterhalb des castillo , der Festung, des lang gestreckten Castrojeriz, wo sie recht langsam mit ihrer Freundin Sonja vorantrottet. Claudia dreht sich ständig suchend um. Bin mir sicher, sie will wissen, ob ich irgendwo hier herumlatsche. Die beiden bleiben dann immer öfter stehen und als ich sie plötzlich einhole, tut das Girl from Ipanema sehr überrascht. Sie erzählt mir als Erstes, sie habe heute Morgen zwei Kobras gesehen. Versuche ihr zu erklären, dass es meines Wissens in Spanien keine Kobras gibt. Obwohl, ich hab ja auch zwölf Adler gesehen! Aber bitte, wenn sie denn unbedingt wirklich
Weitere Kostenlose Bücher