Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
umgefallen. Jetzt bin ich einfach nur müde und eben die Füße...! Mehr aber nicht!
Der Weg war heute die Härteprüfung, aber landschaftlich wahrscheinlich der bisher schönste Teil. Ich kann’s nicht glauben, sechsunddreißig Kilometer und ich hab dafür keine elf Stunden Laufzeit benötigt, sondern knapp acht Stunden. 36 geteilt durch 8 macht 4,5; also in etwa 4,5 Kilometer in der Stunde. Nicht schlecht dafür, dass ich in Sport immer eine Nulpe war.
Ich habe allerdings den Eindruck, dass es nicht meine körperliche Kondition ist, die sich verbessert, sondern vielmehr meine mentale. Ich weiß jetzt die Anstrengung richtig einzuschätzen und mir meine Kräfte vernünftig einzuteilen. Zu gemächlich darf ich bei manchmal 40 Grad Celsius im Schatten jedoch nicht laufen. Je schneller ich aus der Sonne rauskomme, desto besser ist es. Wenn ich wiederum zu schnell laufe, kann ich früher oder später gar nicht mehr weiter und hänge in der Sonne fest. Mein Flüssigkeitsverbrauch ist enorm. Ich habe heute so an die sechs Liter getrunken. Komischerweise ist der Hunger nicht wirklich ein Problem. Mit Hunger läuft es sich sogar flotter. Schon unglaublich, was ich aus diesem Couch-potato-Körper alles rausholen kann. Subjektiv habe ich seit einigen Tagen das Gefühl, kein Gramm mehr abzunehmen, aber das ist ja auch nicht der Sinn dieser Übung.
Dieser Weg lehrt mich eine Menge über meine Kraft. Ich lerne meine Energie richtig einzusetzen, mit ihr Haus zu halten, Pausen zu machen, wenn notwendig, und mich bei aller Anstrengung immer gut zu behandeln. Heute Abend belohne ich mich mit dem Hotel San Martín. Ein wunderschönes kleines Haus gegenüber der gleichnamigen strahlenden romanischen Kirche. Die Plaza wirkt mit den überall flatternden kleinen Fähnchen so würdevoll, als erwarte sie persönlich jeden Moment einen hochrangigen Staatsgast.
Als ich zum Abendessen in den mit edlem roten Cotto ausgelegten Speisesaal komme, sitzen da wie bestellt an einem schick gedeckten Tisch bei Kerzenlicht als einzige Gäste Tina und Evi, meine frisch gewaschenen Schwedinnen. Herrlich! So verbringen wir also wieder einen geselligen Abend. Diese beiden herzlichen, humorvollen Stockholmerinnen tun mir einfach nur gut! Sie sind die Torturen der Pilgerherbergen also auch endgültig leid und gönnen sich nette Hotels. Bravo! Die Vernunft hat auch auf Schwedisch gesiegt!
Evi und Tina haben sich übrigens nach diversen Streits auch dafür entschieden, getrennt voneinander zu laufen. Manchmal übernachten sie sogar an unterschiedlichen Orten. Die beiden knackebraunen Blondinen haben so wie ich Kommunikationshunger und so wird geredet, gelästert und gelacht.
Tina muss eine wunderbare Geschichte loswerden.
Sie war auf der Suche nach Waschmittel. Irgendwann landet sie in einem winzigen Ort und sucht verzweifelt nach Flüssigwaschmittel. Des Spanischen ist sie nicht mächtig, also erklärt sie der Verkäuferin wild gestikulierend ihren Wunsch. Die Spanierin greift entschlossen nach einer Packung Irgendwas und Tina wandert damit erleichtert weiter in Richtung Pilgerherberge. Als Tina die kleine Packung später über dem Waschbecken öffnet, stellt sie fest, dass es sich bei dem Inhalt um flüssigen Vanillepudding handelt. Also wird alles mit Vanillepudding gewaschen! »Sauber war’s zwar nicht«, meint Tina, »aber es hat sehr gut gerochen!«
Ein weiterer Grund, warum Tina und Evi nicht mehr in den Herbergen übernachten wollen, ist die Tatsache, dass viele Pilger Wandernachtschichten einlegen. Viele Leute stellen sich den Wecker für zwei Uhr morgens und sorgen damit für einen Höllenradau im Schlafsaal. Unvorstellbar, aber es wird jetzt auch nachts gewandert. Jedermann ist immer auf der Jagd nach dem nächsten freien Bett, denn sind die spärlichen Pilgerherbergen ausgebucht, muss man zusehen, wo man bleibt. Deshalb bilden sich Grüppchen, die sich aufteilen. Manche laufen tagsüber, andere nachts und halten sich so gegenseitig die Ruhelager frei. Und dann gibt es eben noch ganz verrückte Einzelkämpfer, die um acht Uhr morgens schon am Etappenziel ankommen, anstehen und auf eine freie Schlafgelegenheit warten.
Wie machen die das bloß? Die haben wahrscheinlich Suchscheinwerfer dabei, denn es gibt auf dem Weg keine künstlichen Lichtquellen und Vollmond ist hier auch nur einmal im Monat. Abgesehen davon gibt es streunende Hunde und anderes Getier!
Auf so etwas habe ich eindeutig keine Lust; ich möchte in meinem Tempo gemütlich
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