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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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knochentrockenen Aufgabe schlichtweg noch überforderter zu sein als meine Wenigkeit, also laufe ich nach unserem kurzen Smalltalk extrem langsam weiter, weil ich nicht annehme, dass die Dame jemals heil über den Pass kommen wird. Zwischendurch tue ich immer wieder so, als würde ich mich ausruhen, um zu sehen, ob sie noch lebt. Weit und breit ist kein anderer Pilger in Sicht, also sehe ich es jetzt als meine Aufgabe an, über das Wohlergehen der properen Lady zu wachen. In der Ferne an einer Feldwegkreuzung im Tal steht dann tatsächlich ein weißer Jeep mit laufendem Motor, darin sitzt ein Mann, der sehnsüchtig in meine Richtung starrt und offensichtlich darauf wartet, jemanden wieder aufzugabeln.
    So kann ich getrost mein Tempo anziehen und weitermarschieren. Dieses langsame Gehen hat allerdings spürbar an meinen Kräften gezehrt und so halte ich mich durch das Absingen von Liedern bei Wanderlaune. Zunächst einmal baue ich mich mit ›Reich mir die Hand, mein Leben!‹ von Mozart wieder auf. Mozart, so bilde ich es mir ein, macht meinen Körper gewissermaßen leichter und elastischer.
    Überhaupt, wenn ich merke, die Kräfte verlassen mich, singe ich laut vor mich hin. Musicals, Hymnen, Volkslieder aus aller Herren Länder, von ›Hawa nagila hawa‹ bis zu ›How many roads?‹, gerne auch mal die eine oder andere Arie, Märsche und Popsongs. Meist läuft man ja über Stunden allein, ohne jemandem zu begegnen, also was soll’s?
    Zum Wandern eignen sich deutsche Volkslieder in der Tat ganz gut, damit komme ich am schnellsten vorwärts. Der ›Radetzky-Marsch‹ hat mich heute, bevor ich die Amerikanerin traf, zum Meseta-Pass gebracht! Meine Füße tun heute besonders weh. Ich weiß, ich wiederhole mich, denn meine Füße tun immer weh, aber heute halt noch mehr und das finde ich durchaus erwähnenswert! Man kann es gar nicht oft genug sagen, wie weh die Füße genau tun, wenn man den Jakobsweg läuft.
    Um sechzehn Uhr dreißig bin ich bereits die für mich unglaubliche Strecke von zweiunddreißig Kilometern gelaufen und gönne mir also eine Pause und ein schönes leckeres bocadillo , Brötchen mit Schinken und Käse, und eine Spezi in einer Bar in einem sandigen Dörflein.
    Die anderen Pilger gucken immer blöd, wenn ich Fanta und Cola mische; ich erkläre ihnen dann, es handele sich dabei um eine deutsche Spezialität namens Spezi oder Kalter Kaffee.
    Keiner von den Norwegern, Schweden, Spaniern, Italienern und Brasilianern ist anscheinend jemals auf die Idee gekommen, es auszuprobieren. Mit zwei sehr handfesten norwegischen Frauen aus der Telemark komme ich am Dorfbrunnen vor der Bar schnell ins Gespräch und erzähle ihnen auf Englisch von meiner Begegnung mit dem brasilianischen Temperament Claudias. Die Geschichte muss ich heute einfach noch loswerden! Spaßeshalber sprechen die beiden danach mit mir zwar kein Portugiesisch, aber Norwegisch und ich mit ihnen Deutsch. Wir wollen mal sehen, ob wir uns auch so verständigen können. Und siehe da, es geht. Die beiden Frauen verstehen nahezu alles und so mache ich also auch noch einen Crash-Kurs in Baby-Norwegisch – und ich muss sagen, die kühle Sprache von den Fjordgletschern wirkt erfrischend in dieser Hitze.
    Tina und Evi konnte ich gestern Abend fast gar nicht verstehen, wenn sie miteinander Schwedisch sprachen. Aber Norwegisch, langsam gesprochen, ist für mich ganz gut zu begreifen.
    In diesem Kaff gibt es zwar ein refugio und eigentlich kann ich nicht mehr weiter, aber ich will heute ein schönes Bett und die Herberge ist nicht nur entbehrungsreich, sondern auch noch proppenvoll.
    Es bleibt einfach rätselhaft, wie man den ganzen Tag über mutterseelenallein wandert und gegen Abend am Etappenziel auf hunderte Menschen trifft, die den gleichen Weg gegangen sind.
    Knapp fünf Kilometer Weg liegen noch vor mir bis nach Frómista und hurra, da gibt’s ein Hotel. Das schaffe ich irgendwie auch noch.
    Die Strecke bis nach Frómista hat es allerdings noch mal in sich und so latsche ich erschöpft und ausgepowert an einem nicht enden wollenden Kanal entlang, der genauso lahm vor sich hinplätschert, wie ich mich voranschleppe. Meine Füße spüre ich zwar gar nicht mehr, dennoch stößt mein Körper nicht genug Endorphine aus, sodass mein Wille alleine mich irgendwann ans Ziel bringt. Und so erreiche ich nach etwa 36 Kilometern Fußmarsch mein Etappenziel. Wahnsinn.
    Vor knapp vierzehn Tagen wäre ich wahrscheinlich nach sechsunddreißig Kilometern tot

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