Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
wurde. Dieser fiese Typ hat sich doch tatsächlich, als Anne mutterseelenallein im Schlafsaal döst, auf sie gelegt. Das hat sie David, dem Masseur aus Sahagún, bei dem Evi natürlich auch war, erzählt. David hat dann dafür gesorgt, dass der Typ rausgeflogen ist. Schön, Freunde halten eben zusammen.
Evi hat leider eine ähnliche Geschichte parat. Sie läuft mit Tina durch die einsame Pampa, da hält ein Jeep neben ihnen und ein Typ fängt fröhlich an, sich – sagen wir mal – selbst zu bedienen. Die beiden hatten höllische Angst und sind weggerannt.
Was quengele ich eigentlich dauernd herum? Für eine Frau ist der Weg viel anstrengender und gefährlicher als für einen Mann. Anne zeigt uns zum Beweis dieser Tatsache auch noch ihre beeindruckend geschundenen Füße. Sie hat sich durch ihre Designer-Wandersandalen die Füße ruiniert, das hat sie um Tage zurückgeworfen und nun hängt auch sie erst mal hier fest und musste heute zum zweiten Mal seit gestern das refugio wechseln. Man darf ja immer nur eine Nacht bleiben.
Während wir über Gott und die Welt reden, die Sonne weiter auf uns herunterbrennt und Evi mich darüber aufklärt, dass das schwedische Wort für Seelsorger – das will sie nämlich werden – überraschenderweise själasörjare heißt, taucht nun wie vom Universum bestellt auch noch Jose aus Amsterdam auf, die sowohl Anne als auch Evi bereits kennt. Auch sie braucht heute einfach mal einen Tag Pause und gesellt sich zu uns.
Diese Zufälle sind jetzt wirklich schier unglaublich! Zum besseren Verständnis sei hier angemerkt, dass León wahrlich kein Nest ist, sondern ein ganzes Stück größer als Heidelberg. Die Altstadt erstreckt sich labyrinthartig über mehrere Kilometer und ich befinde mich eher am Rande in einer pilgerfreien Zone. Jose und Evi wohnen zufällig auch noch im selben Hotel. Und das, obwohl es innerhalb der Stadtmauern unzählige Pensionen, Bed and Breakfasts und Hotels gibt.
Wir lachen viel und es ist wie unter alten Freunden. Zum Abendessen verabreden wir uns für zwanzig Uhr dreißig auf der Plaza San Martín, dem Hotspot von León.
Während das schwedisch-holländische Damenduo am Nachmittag zurück in sein Hotel stiefelt, um sich abendfein zu machen, bleiben Anne und ich noch eine Weile sitzen. Anne meint, dass sie mich von irgendwoher kenne. Mein Gesicht würde sie kennen, sie wisse bloß nicht mehr woher.
Das habe sie bereits in Santo Domingo beschäftigt.
Wir rätseln hin und her, bis mir irgendwann die einzig mögliche Lösung einfällt. Einige meiner Fernsehsendungen sind vor Jahren von der BBC im Spätprogramm ausgestrahlt worden. »Exactly. Yes, you’re the funny German guy! I loved that programme!«, entfährt es Anne.
Obwohl die Shows nur Englisch untertitelt waren, fand sie es toll. Mir hier zu begegnen findet Anne sehr strange und spooky und mir geht es ähnlich. Mein einziger englischer Fan sitzt mir in der Fußgängerzone von León beim Kaffeetrinken gegenüber und ich habe das vertraute Gefühl, die promovierte Biologin ewig zu kennen. Annes letztes halbjähriges Forschungsprojekt in Nicaragua über Feldmäuse liegt erst ein paar Monate zurück. Wusste ich’s doch, die Frau ist eine potenzielle Nobelpreisträgerin!
Anne humpelt dann irgendwann auch zurück ins refugio , um später frisch geduscht beim Abendessen wieder aufzuerstehen.
Dieser Nachmittag ist fantastisch und heute Abend werde ich mit den von mir herbeigesehnten Freunden noch richtig was unternehmen. Das schien beim Frühstück noch im Bereich des Unmöglichen zu liegen. Während ich im Korbstuhl mit geschlossenen Augen heiter vor mich hinsinniere, grüßt mich im breitesten Schwäbisch der moppelige, hilflos wirkende junge Mann, dem ich seit einer Woche immer wieder mal begegne. Unsere Gespräche sind meist knapp und belanglos, deshalb habe ich ihn auch noch nicht erwähnt. Einen Namen hat er aber schon von mir bekommen: der Bodenseepilger. Denn da kommt er her und er drückt mir wieder mal ein selten doofes Gespräch aufs Ohr.
Der Bodenseepilger fragt mich ohne Umschweife, ob es sein könnte, dass ich auf dem Pilgerweg zugenommen hätte? Was ist denn das für ein abwegiges Thema? Der Typ ist zwar zehn Jahre jünger als ich, aber dafür auch zwanzig Kilo schwerer. Ich frage ihn, ob er mich denn am Anfang des Weges gesehen hätte? Das verneint er natürlich und so frage ich, wie er denn dann zu der durch nichts zu begründenden Vermutung käme, ich sei dicker geworden?
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