Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
Woraufhin er blöd mit den Schultern zuckt und erwartungsvoll stehen bleibt. Einem möglichen weiteren doofen Gespräch schiebe ich durch strammes Schweigen einen Riegel vor.
Der Typ hat trotzdem was in mir losgetreten und einen wunden Punkt getroffen, denn vielleicht hab ich ja wirklich zugenommen und das wäre entsetzlich! Es kann doch nicht sein, dass ich trotz sportlicher Höchstleistungen langsam verfette! Zwanzig Kilometer am Tag dürften doch ihre Wirkung nicht verfehlen. Nichtsdestotrotz muss ich mich dringend mal wiegen.
Der Bodenseepilger rührt sich nicht vom Fleck, was er dann aber mit dem Satz: »I wart uff wen!« begründet. Na da bin ich ja mal gespannt, wen er sich angelacht hat! Die im höchsten Maße gelungene Überraschung lässt nicht lange auf sich warten. Seine neuen Weggefährten sind Schnabbel und Gerd. Sie ist leicht angeschickert, hysterisch guter Dinge und hat eine rote Birne. Gerd sieht mittlerweile aus wie ein Marokkaner.
Schnabbel schaut mich verwundert an und will wissen, wie ich denn so schnell hierher gekommen sei? »Mit dem Zug!«, gebe ich offen zu, was sie dazu veranlasst, laut durch die Fußgängerzone zu brüllen: »Das gibt es nicht! Nein, das zählt nicht. Das darf man nicht! Das gilt auf gar keinen Fall!«
Der Bodenseepilger glotzt mich anklagend an, während Gerd seinen Kopf wieder auf dem Wanderstab ablegt.
Wahrscheinlich sollte ihr Ausfall lustig sein. Es lacht aber keiner!
Sie sollte Humorstunden bei Tina nehmen.
Ich sage ihr, dass mir das relativ schnuppe sei und außerdem ja nur die letzten einhundert Kilometer nachweislich zu Fuß gepilgert werden müssen. Das weiß sie zwar, aber es gefällt ihr nicht. Die Gesetze der Welt haben sich nach ihr zu richten. Und wie sie sich da so vor mir aufbaut, erinnert sie mich an Eva Peron.
Schnabbel will wissen, ob ich in Sahagún auch in dem Hotel war, »wo die Jugendlichen nachts so einen Terror gemacht haben«. Das bestätige ich gerne und setze sie darüber in Kenntnis, dass die Kids absurde Mordpläne hatten, die auch sie hätten treffen können.
Gerd und Schnabbel hängen an meinen Lippen und lachen hysterisch. Aber diese beiden Menschen sind echte Energiekiller. Während ich die Geschichte detailliert erzähle, überkommt mich eine bleierne Müdigkeit.
Sie hat echte Probleme, er auch. Und wie die jetzt zu dem pummeligen Bodenseepilger gekommen sind? Vielleicht sind sie kinderlos und suchen sich hier in jüngeren Pilgern Ersatzkinder. Die Österreicherin ist nicht mehr bei ihnen. Was sie mit der wohl angestellt haben? Ute heißt sie. Oder hieß sie? Das hat mir Evi erzählt. Ute pilgert seit einem Jahr! Erst war sie in Indien und jetzt will sie nach Santiago.
Ein längeres Gespräch mit ihr wäre vielleicht doch angebracht und sehr interessant gewesen. Die Chance habe ich vertan, dabei hat Ute mir oft genug die Gelegenheit dazu geboten. Stattdessen lasse ich mich heute wieder von Schnabbel mit eitlen Wanderanekdoten zumüllen.
Wieder steht sie, anstatt sich mal zu setzen. Das ist mir zu blöd und so verabschiede ich mich hoffentlich zum letzten Mal von meinem Schatten. Ich glaube, ich habe die Lektion verstanden, die sie mir erteilt hat, und muss sie jetzt nur noch verinnerlichen.
In der nächsten farmacia stelle ich auf der Personenwaage in jeder Hinsicht erleichtert fest, dass ich deutlich abgenommen habe. Das wär’ ja auch noch schöner!
Zurück im Hotel sorgt endlich ein herrlicher Platzregen für Abkühlung. Es regnet heute zum ersten Mal seit dem
10. Juni. Die dicke Frau aus Seattle, die den Meseta-Pass raufgeklettert ist, ist inzwischen wegen Dehydration im Krankenhaus gelandet. Das hat mir Jose erzählt.
Diese Reise ist das Schrägste, was ich bisher in meinem Leben gemacht habe.
Pünktlich um zwanzig Uhr dreißig stehe ich frisch geduscht in meinem knitterfreien hellen Stadthemd auf der Plaza San Martín. Es ist ein fantastischer lauer Sommerabend. Hunderte von Pilgern und Einheimischen sitzen bei Fackellicht auf rustikalen Holzbänken vor den bunten Speiselokalen. Die Plaza schimmert rot-orange in der spanischen Dämmerung und ein Flamenco-Trio rundet das kitschige Bild vollends ab.
Während ich kräftig durchatme, tippt mir jemand auf die Schulter. Lara aus Kanada. Genau die hat mir noch – im besten Sinne – gefehlt!
»Ich hab dich auf dem Weg vermisst! Wo warst du denn?«, will sie wissen und ich erzähle von meinen sporadischen Pilgeraussetzern per Zug oder Bus und erfahre, dass sie
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