Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
unzweifelhaft eine Menge Humor – und großen Durst, denn irgendwann sitzen wir vier weinselig ganz allein auf der Plaza San Martín. Hier und da schließt schon ein Lokal und das Flamenco-Trio gibt schon länger keinen Mucks mehr von sich.
Evi räuspert sich und stellt beherzt eine Frage an die Run de: »Hat Gott eigentlich auf dem Weg mit euch gesprochen?«
Wir alle schauen uns prüfend an und es dauert, bis sich jemand zu einer Antwort durchringt. Sheelagh ist die Erste, die sich traut, und sagt knapp, aber überzeugend: »Sure he did!« Klar, hat er.
Jose sagt: »Ja... hat er.«
Ich zögere und sage: »Ich glaube... ja.«
Evi strahlt uns an: »Ja, wenn er zu einem spricht, dann ist man zunächst so voller Freude... aber dann kommen die Zweifel. Bin ich verrückt, bilde ich mir das ein, halte ich mich für was Besonderes? Aber dann, wenn man es weiter zulässt, geschehen unglaubliche Dinge! Wunder!«
Hier am Tisch fühle ich mich jetzt ein wenig unbehaglich und befinde mich definitiv in der »Werde ich gerade verrückt?«-Phase. Worüber reden wir hier eigentlich? Kann man ernsthaft behaupten, dass Gott mit einem spricht? Das wäre ein Mörder-Opening-Gag für meine nächste Show: »Guten Abend, meine Damen und Herren, ich spreche den Inhalt meiner Sendungen übrigens nicht mehr mit meinem Sender ab, sondern nehme die Abkürzung und spreche direkt mit Gott... und jetzt kommen Sie!«
Aber die Selbstverständlichkeit, mit der diese wundervollen, intelligenten Frauen hier über sich und Gott reden, ist nicht verrückt, sondern ansteckend und beeindruckend. Sheelagh scheint meine Skepsis und Unbehaglichkeit zu riechen: »Have trust. Vertraue dir und vertraue Gott, denn das ist das Einzige, was er von dir will. Dein Vertrauen!«
Um die Spannung aus dem Thema zu nehmen, zaubert Sheelagh ein superkitschiges Miniaturkartenspiel mit Engelmotiven aus ihrer Hosentasche, das sie am Nachmittag in einem kleinen G’schäfterl in León gefunden hat. Jeden Tag ab heute will sie jeden Menschen, dem sie auf dem Weg intensiv begegnet, eine Karte ziehen lassen. An dem Tag, an dem sie in Santiago ankommt, wird sie dann selbst eine letzte Karte, ihre Karte, aufdecken.
Sheelagh breitet die Kärtchen verdeckt auf dem Tisch in einem Fächer vor uns aus. Erst jetzt stellen wir den Rotwein auch mal beiseite. Evi darf die erste Karte ziehen. Sie beendet ja schließlich morgen ihre Pilgerreise. Ihre Engelkarte heißt: »Licht«. Nichts könnte besser zu dieser strohblonden Schwedin vom Polarkreis passen. Diese Frau ist Licht.
Jose zieht »Enthusiasmus«. Was das für sie bedeutet, weiß ich nicht. Fehlt’s ihr daran? Aber ganz offensichtlich ist sie gerührt. Mit einem kribbelnden unangenehmen Gefühl ziehe ich meine Karte. So richtig traue ich mich nicht und kann mich schwer für eines der vielen Kärtchen entscheiden. Und dann liegt sie vor mir: »Courage« – Mut! Exakt, das ist es, was mir im Moment fehlt. Auch jetzt gerade beim Ziehen der Karte hat er mir gefehlt. Mut! Den werde ich für den restlichen Weg auch brauchen, wenn ich nur an die wilden Hunde von Foncebadón denke!
Der Abend war wundervoll. Sheelagh und Jose verabschieden sich spät in der Nacht angeheitert in ihre jeweiligen Hotels und Evi und ich – versprochen ist versprochen – ziehen durch die Kneipen von León und machen die Nacht zum Tag. Auf das Ende ihrer Reise versenken sie und ich noch eine ganze Flasche Rioja. Die Frau ist wirklich die wandelnde Weisheit und sie wirkt auf mich keineswegs durchgeknallt, auch wenn sie fest davon überzeugt ist, mit Gott zu sprechen. Vielleicht braucht man dazu Mut!?
Nun sollte ich vielleicht erklärend hinzufügen, dass Evi nicht etwa eine »Stimme« im eigentlichen Sinne hört, sondern eher so etwas wie einen inneren Lichtwind spürt, dem sie quasi von den Lippen abliest.
Evi vertraut mir in der Nacht noch einiges an, worüber ich hier standhaft schweige, denn ich muss ihr versprechen, es nicht in mein Tagebuch zu schreiben. Sie ist nämlich felsenfest davon überzeugt, dass aus meinem Camino ein Buch wird. Ich frage sie, wie sie darauf komme. Evi lächelt, eigentlich lächelt sie immer, und flüstert mir ins Ohr: »You can’t see it but I can!« Du kannst es nicht sehen, aber ich schon.
Der Austausch mit Evi war mir besonders wichtig und dass sie das Ende ihrer Pilgerreise mit mir feierte, erlebte ich als Auszeichnung.
Als ich mehr als zufrieden in meinem Bett liege und zu schlafen versuche, schreit ein
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